Original

13. Mai 1921

Die Kammer hat also ihre neue Tribüne, und ein bischen mehr Feierlichkeit strahlt von ihr aus über das ganze Land. Denn bis jetzt sah unser Parlament neben allen andern wirklich ein wenig primitiv und hausbacken aus.

Unsre neue Tribüne ist an und für sich schön und majestätisch, wert ihrer Bestimmung. Sie ist die vornehmste Tribüne des Landes und bekundet das in ihrem Äußern. Sie ist aus kostbarem Akajou und von Hrn. Staatsarchitekten harmonisch aufgebaut, wie ein Sonett. Es ist, als ordne sich der Staatsgedanke in ihre Formen und Linien ein. Sie steht auf breiter, fester Grundlage und schafft dem Träger der Ordnung den sichern, erhöhten Stand, auf dem er über den Parteien thront und alles überblickt und leitet. Der Vergleich mit dem Mann auf dem Kutschbock wäre vulgär, ich vergleiche ihn lieber mit dem Kapitän, der hoch oben auf seiner Kommandobrücke steht und bei Sturm und Sonnenschein dem Schiff, das unter ihm bebt und bäumt, die Richtung durch die Wogen gibt.

In der französischen Kammer sieht man oft den Präsidenten, wenn es hoch hergeht, sich von seinem Sitz erbeben und die Verbandlungen stehenden Fußes leiten. Er hat zweierlei, um auf die Versammlung zu wirken, wenn seine Stimme nicht mehr durchdringt: Seine Glocke und seinen Zylinderhut. Wenn die Glocke gar nicht mehr wirkt, setzt er seinen Zylinderhut auf und damit ist die Sitzung aufgehoben oder aufgeschoben.

Wir haben die Tribüne, aber wir haben noch keine Glocke und keinen Zylinderhut. Bis jetzt benutzte der Vorsitzende als Ruhestifterin eine Keule, mit der er seinen Pultdeckel bearbeitete. Die Sekretäre standen ihm darin bei. Wenn die drei Pultdeckel miteinander dröhnten, gerieten die Trommelfelle der Umsitzenden in Gefahr. Ich werde an die Geigenmacherschule nach Mittenwald schreiben, daß sie sich schleunigst in den Besitz der alten Kammerpräsidiumspult- deckel setzt, denn sie haben eine Resonanz, die dem Holz der besten Amati Ehre machen würde.

Zu einem Zylinder wurde ich nicht raten. Man trägt sie heutzutage noch bei Hochzeiten und Begräbnissen. Sonst nur in besondern Fällen, z. B. wenn man, wie Herr Flammang, seine Confratres ärgern will. Im allgemeinen dienen sie heute zur Aufbewahrung von Dörrgemüse.

In unserm demokratischen Parlament wäre ein weicher Filz als Schlußsignal schon ausreichend. Aber die Glocke wird nicht zu vermeiden sein. Es darf nicht geschehen, daß das Präsidium bei Sturmszenen die prächtige neue Tribüne mit einer Keule zuschanden haut. Dagegen würde das ganze Land proiestieren. Denn die neue Tribüne ist eine Landesangelegenheit, etwa wie ein neues Büffet oder ein neuer Schrank eine Familiensache ist.

Um uns ganz im Äußern den Parlamenten der andern Länder anzugleichen, müßten wir in der Kammer nun auch noch die amphitheatralische Anordnung der Deputiertensitze haben. Das riassische Hemicycle. Aber dem stehen allerlei Bedenken entgegen. Herr Erpelding hat bereits von der Tribüne aus von einer Bütte gesprochen, er würde in seiner Mißachtung alles Hohen und Edeln sich nicht scheuen, von einem Zirkus zu reden. Also bleiben wir einstweilen zu ebener Erde.

Es war interessant, wie das Rednerpult in der Praxis wirken würde. Früher war man gewohnt, daß ein bestimmter Ton immer aus einer bestimmten Ecke kam. Heute kommt alles, grob und fein, fromm und gottlos links und rechts von derselben Stelle. Bald schleudert Herr Krier seine Flüche gegen das schmutzige Geld, bald preist Herr Jacoby die Prinzipien der herrlichen Encyclica rerum ovarium, bald laviert Herr de Waha armschlenkernd zwischen Sozialisten und Konservativen, wobei er sich beengt fühlt und sich manchmal die Hand an die Rückwand haut, bald klingt es rauh, bald mild - aber immer von derselben Stelle des Hauses. Die Tribüne ist der Bronn, aus dem der Redestrom quillt, kalt und heiß, trüb und klar, weiß und rot - wie aus der Wunderflasche des Taschenspielers. Man braucht sich nicht mehr nach rechts und nach links zu drehen, die Tribüne ist der Mittelpunkt des Saales, der Mittelpunkt des Volkes. Sie ist das historischste Möbel, das wir zurzeit haben. Sie ist ein gezwungen Gemeinsames zwischen den Parteien. Gebe das Schicksal, daß dies Gemeinsame auch ein wenig versöhnlich wirke.

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    Katalognummer BW-AK-009-1910