Original

22. Mai 1921

Es ist schlantweg unbegreiflich, wie Herr Neyens auf seiner Suche nach neuen Steuern immer noch nicht auf die Junggesellensteuer verfallen ist.

Früher lag es nahe, daß der luxemburgische Finanzminister mit einem solchen Projekt hinter dem Berge hielt. Er war der einzige Verheiratete im Ministerium. Die Herren Eyschen und Kirpach waren eingesleischte Junggesellen und hätten es Herrn Mongenast als schnöde Unkollegialität verdacht, wenn er ihnen für die Vorteile ihrer Unbeweibtheit jährlich eine Rechnung geschickt hätte.

Aber heute fällt diese Erwägung fort. Heute bilden die Ehemänner in der Regierung eine Majorität von vier gegen einen. Die Herren Reuter Neyens, Leidenbach und Bech sind derart verheiratet, daß sie auf den Hagestolz de Waha doch wahrhaftig keine Rücksicht zu nehmen bräuchten.

Es gibt keine Steuer, die auch nur annähernd so gerechtfertigt wäre, wie die Junggesellensteuer. Nicht nur vom Standpunkt des Bevölkerungszuwachses, sondern im Hinblick auf die allergewöhnlichste Gerechtigkeit. Wenn einer sich weigert, ein Vollbürger zu sein und seine Pflicht gegen die Menschheit im allgemeinen und das Vaterland im besonderen zu tun, so soll er dafür bezahlen. Es dürfen Ausnahmen gemacht werden, aber nur wenn sie ausreichend begründet sind. Als Ausnahmegrund darf es z. B. nicht gelten, wenn ein Junggeselle behauptet, er sei ein grundsätzlicher Weiberhasser. Misogynen gibt es bekanntlich mehr unter den Verheirateten, als unter den Junggesellen.

Ein Junggeselle, der sich feiner Pflicht zur Verheiratung entzieht, schädigt den Staat nicht nur in seiner Person, sondern in der Person mindestens einer Angehörigen des andern Geschlechts. Es ist nicht so La Palisse, wie es klingt, wenn ich sage: Würden mehr Männer heiraten, so würden auch mehr Frauen heiraten. Aber andere. Der normal gebaute Junggefelle, der umher geht, wie ein Löwe usw. liefert so und soviel jungen Mädchen den Vorwand und die Mittel, vorläufig aufs Heiraten zu verzichten. Und nachher nimmt sie keiner mehr. Statt also eine Blume zu pflücken, verwüstet so ein Mensch ganze Beete.

Das muß aufhören! sagten kürzlich die Türken, die im Heiraten Bescheid wissen. Ein stark verheirateter Bekannte schickt mir eine Nummer der Pariser Ausgabe der „Chicago Tribune“ vom Mittwoch, 18. Mai, in der er folgende Meldung blau und schadenfroh umrändert hat:

„Angora, 17. Mai. Vielleicht fällt schließlich der Türkei die Rolle zu, im Kampf gegen die Geburtenkrisis voran zu marschieren. Jedenfalls sind die türkischen Junggesellen in Angora unentschieden, ob sie sich den russischen Flüchtlingen in der Auswanderung nach Brasilien anschließen oder sich dem Gesetz fügen sollen, das in jenem Vezirk bestimmt, daß alle Junggesellen von 25 Jahren aufwärts heiraten müssen, widrigenfalls ein Viertel ihres Einkommens oder Lohnes dem Staat verfällt. Regierungsbeamte - aufgepaßt, Herr Minister der öffentlichen Fürsorge - wurden am härtesten betroffen, da ihnen anbefohlen wurde, vom Fleck weg zu heiraten. Solche Muselmanen, die bis jetzt aus Sparsamkeitsgründen sich mit einer Frau begnügten, werden ermuntert, noch eine dazu zu nehmen. Das Vermögen der Junggesellen, die sich durch die Flucht diesem Gesetz entziehen, geht in einen Fonds, aus dem junge Mädchen, die ohne ihre Schuld unverheiratet geblieben sind, eine Mitgift erhakten.“

Ich empfehle diese Frage als Plattform für die nächsten Wahlen. Dann können die Frauen sagen, wie sie sich dazu stellen.

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    Katalognummer BW-AK-009-1917