Original

24. Mai 1921

„Was haben sie denn heute gemacht?“ ist eine Frage, die einem häufig des Abends nach einer Kammersitzung gestellt wird.

„Was werden sie gemacht haben! Herr Krier hat gesagt, die Großherzogin kann nicht kochen, und Herr Erpelding hat Herrn de Villers wieder „Sie preußischer Graf!“ geschimpft.“

Darauf schüttelt der Frager wehmütig den Kopf und sagt: „Das war früher aber doch ganz anders. Wenn heute der und der noch lebte, was würde der den Kopf schütteln!“

Früher - es ist indes schon ziemlich lange her - ging es in unserm Parlament allerdings ein wenig parlamentarischer zu. Fast wie im Hochamt. Ein aggressiverer Ton kam zuerst hinein, als Herr Emil Prüm mit seinen hochfliegenden Zukunftsplänen in die politische See stach, als Herr Emil Servais, als grimmiger Feind des Staatsministers Eyschen den herkömmlichen Respekt gegen die Regierung untergrub, als Baron de Tornaco seine sämtlichen Reden auf seine Devise zuspitzte: Paul Eyschen esse delendum.

Dann kamen die sozialistischen Dioskuren Spoo und Welter Spoo, der seinem Kampf gegen den Kapitalismus eine persönliche Spitze gegen die paar Minettsherren von dazumal aufschraubte, Welter, der aus der Bibel heraus nachwies, daß die Abgeordneten nicht auf die Verfassung schwören sollten, weil Christus gesagt hatte: Eure Rede sei ja ja, nein nein, was darüber ist, ist vom Bosen. Womit er dem noch bibelsesteren Jesuitenzögling von Clers an den Frack gegriffen hatte.

Fortan hallten die Kammerwände von immer aufgeregterem Rednergedröhn wider. Aber so heftig sich das alles im Ton anhörte, so harmlos war es meist im Inhalt. Typisch dafür ist ein Vorfall, bei dem es beinahe zum Hauen und Stechen gekommen wäre, obgleich es sich um weniger als gar nichts handelte.

Die Sitzung war durchaus ruhig verlaufen. Charles Simons führte den Vorsitz, rechts von ihm saß Robert Brassenr, links Felix Bian Ein Namensaufruf wurde vorgenommen. Nach dem Reglement beginnt der Aufruf mit einem Namen, der aus der Urne gezogen wird, und der dann für sämtliche Aufruse der ganzen Sitzung gilt.

Als später ein zweites Mal namentlich abgestimmt werden sollte, griff der Präsident versehentlich nochmals in die Urne und zog einen neuen Namen. Dr. Welter der damals den Kopf noch viel näher an der Kappe hatte, als heute, rief dem Büro sarkastisch zu: „Sie wissen nicht, was Sie tun! Sie sabotieren das Reglement!“

Charles Simons, der auch nicht der Sanftmütigsten einer war, setzte sich zur Wehr. Er hatte keine Ahnung, daß der streitbare Führer des Sozialistenbänkleins wegen eines unschuldigen Formfehlers mit Kanonen auf ihn schoß, und er legte seinerseits mit Haubitzen los. Im Nu war das Feuer im Dachstuhl. Ich sehe noch, wie inmitten des ohrbetäubenden Lärms Dr. Welter quer durch den Saal auf den Präsidenten zustampft, um ihm begreiflich zu machen, daß er den zweiten Namen nicht hätte ziehen dürfen, wie jeder glaubt, es sei auf Tätlichkeiten abgesehen, wie der Hüne Simons neben der Präsidententribüne steht und wie ihm sein Gegner, krebsrot und mit funkelnden Augen, zuschreit, der Aufruf habe mit dem zuerst gezogenen Namen ansangen müssen. Wenn es zu Mord und Totschlag gekommen ware, hätte später der Vorgang mit graufiger politischer Ausmachung in der Geschichte gestanden.

Früher ging es ruhiger zu. Man schlug nicht so laut mit Knütteln auf Blechschilder, aber man führte Waffen, die empfindlicher trafen. Wenn Dr. Welter seinerzeit dem Premier vorwarf, er sei ein Komödiant und er sei dafür reichlich bezahlt, so mag das den Angegriffenen weniger gekränkt haben, als wenn ihm Brincour eines Tages mit verächtlichem Achselzucken sagte: „Politik! Sie haben ja nie eine Politik gehabt!“

Ein andermal handelte es sich um die Abschiebung der fremden Zweisousstücke aus Bronze. Die Regierung hatte sich dafür an die Internationale Bank gewandt. Die Bedingungen und deren Ausführung wurden in der Kammer besprochen, und damals war es, wo Charles Simons dem Staatsminister ins Gesicht sagte, wenn wieder einmal jemand mit Paul Eyschen etwas zu vereinbaren hätte, so rate er ihm, es schriftlich zu machen.

Das Stärkste an moralischer Ohrfeigung einem politischen Feind gegenüber leistete sich Paul Eyschen bei der Abrechnung mit Felix de Blochausen über die berüchtigte Prinz-Heinrich-Depesche. de Blochausen machte geltend, das kompromittierende Telegramm sei von seiner Gemahlin ohne sein Vorwissen abgesandt worden. Darauf Eyschen: „Wenn man eine solche Frau hat, schickt man sie ihrem Vater zurück.“

„Ich habe damals bis andern Tags früh auf die Zeugen de Blochausens gewartet,“ sagte später Paul Eyschen einem Freund.

Heute sagt man sich in der luxemburger Kammer keine Liebenswürdigkeiten mehr, bei denen es auf Säbel oder Pistolen abgesehen wäre. Aber Ohrfeigen bietet man sich gelegentlich an, in den meisten Fällen glücklicherweise, ohne daß sie zur Tatsache werden.

TAGS
    Katalognummer BW-AK-009-1918