Original

28. Mai 1921

Die Gret war mit der Zeit der richtige Hausdrache geworden. Als die Kinder groß waren, stellte sich heraus, daß sich die ganze Weibheit der Gret in vegetariver Mütterlichkeit erschöpft hatte und daß nichts übrig geblieben war, als Essig. Die Mischung war von Haus aus einseitig gewesen, und so machte sich alle Lebensenergie der Gret im Keifen Luft. Sie hängte sich von früh bis spät keifend an ihren Jang, daß ihm das Leben schmeckte wie ein Glas Wein mit einem Schuß Benzin.

Der Wirbelsturm der ersten Kriegstage hatte die Gret einigermaßen verdutzt. All dies Gewalttätige, das mit der Selbstverständlichkeit und Unabwendbarkeit eines Donnerwetters durch Gassen und Haus und Stall und Scheune fuhr, verschlug ihr die Rede und machte sie zu sanstmütigen Dingen willig. Aber je mehr die Überschwemmung zurückebbte, desto dreister kroch bei der Gret der Drache wieder aus der Höhle, und bald war wieder alles beim alten.

Dann kam die Katastrophe.

Es war nach dem Herbst 1917. Die Händler liefen die Mosel auf und ab und kauften, kauften, daß die Preise in die Höhe gingen, wie das Quecksilber in einem Thermometer, das man über eine brennende Lampe hält. Kaum hatte einer erzählt, der Pitt habe 4500 Franken für ein Fuder bekommen, so kam schon ein anderer herein und erzählte, daß der Klos seinen ganzen Keller zu 5000 das Fuder verkauft hatte. Die Preissäule stieg bis 10 000. Ein oder das andere Mal schwappte sie sogar darüber.

Jang stand mit dem Weinkommissionar im Keller vor seinem letzten, besten Fuder. Und daneben stand die Gret, mit zusammengeknissenen Lippen und Augenbrauen, die Hände unter der Schürze. Von Zeit zu Zeit zog sie eine Hand hervor und wischte sich mit dem Zeigefinger unter der Nase her.

„Wie ist es denn nun?“ fragte der Käufer ein wenig ungeduldig. „Kriegen wir Handel oder nicht?“

„Zehntausend!“ sagte Jang träumerisch vor sich hin. Das Geld baute sich vor seinem innern Auge zu einem Riesenhaufen empor. Zehntausend Franken! Das war mehr, als sein ganzes Vermögen vor dem Krieg betragen hatte.

„Soll ich?“ fragte er die Gret.

„De wär’sch e’ren!“ fuhr die fauchend auf ihn los. Und dumm genug wäre er ja, und ob er denn meine, sein Wein sei schlechter, als der des Nachbarn, der zehntausend einhundert bekommen hatte.

„Nun?“ fragte der Händler.

„Ich bedenke mich noch,“ sagte Jang zögernd, und die Gret wiederholte entschlossen: „Wir bedenken uns noch.“

Am nächsten Tag flauten die Weinpreise ab. Jang machte die Reise bis zum Weinkommissionar, der ihm noch 5000 Franken bot. Jang trank sich darauf einen epochemachenden Schwips, und als abends die Gret aufmuckte, geschah das Unerhörte, daß sie von ihrem Mann eine schallende Ohrseige bekam. Sie versuchte dieser durchaus neuen und verblüffenden Stellungnahme Jangs auf alle Arten, die ihr Fraueninstinkt ihr eingab, zu begegnen, ohne daß sie damit irgend eine Wirkung erzielt hätte. Jang knurrte oder brüllte, lachte ingrimmig oder knirschte die Zähne. Und einmal ergriff er sie bei der Hand und zog sie in den Keller vor das liegen gebliebene Fuder. Und sagte ein Wort: Zehntausend! Da begriff sie die Größe der Katastrophe und ergab sich drein. Sie war gezähmt.

Ein halbes Jahr lang freute sich Jang seines teuer erkauften Triumphes. Er lebte auf, er hatte Stunden und Tage, wo er geradezu vor Übermut vibrierte, sodaß ihn die Gret verwundert von der Seite ansah und den Kopf dazu schüttelte.

Eines Tages trat ein merkwürdiges Leuchten in ihren Blick und ihre Nasenflügel zitterten. Von da ab begann ihre Demut einem Zustand des Lauerns, der Vorbereitung auf Vergeltung zu weichen.

Und als sie die Stunde für gekommen hielt, paßte sie eine Gelegenheit ab, wo sich Jang wieder als der Herr im Haus geberden wollte. Als sie nicht parierte, legte er den alten Trumpf auf: „Hast du die Zehntausend vergessen!“

„Komm!“ sagte sie und saßte ihn bei der Hand, wie er sie damals.

Und führte ihn vor das Faß, klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers an den Boden.

Es klang unheimlich hohl.

„Wer hat das Fuder ausgesoffen?“ frug sie, und ihre Stimme klang ihm, wie eine Trompete des letzten Gerichts. „Wer hat die Zehntausend im Wanst!“

Da brach die Herrschaft Jangs elend in Trümmer.

Wer hätte denn aber auch denken können, daß so ein großes Faß eines Tages leer würde, wenn man heimlich jeden Tag nur ein paar armselige kleine Dreischoppenkrüge herauspumpt!

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    Katalognummer BW-AK-009-1922