Der Waldmeister ist verblüht, aber die Erdbeeren sind im Anzug.
Die Bowle ist tot, es lebe die Bowle.
Und da stellt sich uns die Frage in den Weg: Soll man überhaupt Bowle trinken?
Die Meinungen darüber gehen mindestens so schroff auseinander, wie die über die Todesstrafe. Die einen sagen leidenschaftlich nein, die andern ebenso-leidenschaftlich ja.
Dann kam die Zeit, wo es die Menschheit immer besser haben wollte. Wo man in Berlin-West die Austern mit Kaviar belegte. Wenn eine Bowle mit Nachenputzer schön war, um wieviel schöner mußte sie mit edeln Gewächsen und mit Champus schmecken! Natürlich! Wenn eine Nachtigall schon schön singt, um wieviel schöner muß es klingen, wenn einer dazu auch noch Klavier spielt!
Da wurden denn die Sünden wider den heiligen Geist des Weines begangen. (Denn der Geist des Weines kann unter Umständen heilig sein!) Da wurden die edelsten Bouquets mit Bowlenessenz gemordet!
Eine spätere Bowle, die wir im Gegensatz zu der ersten die romantische Bowle nennen wollen, weiß sich vor solcher Barbarei zu hüten. Sie weiß die Stille und das Rauschen, die Kraft und die Sanftheit geschickt zu einem höchst gesitteten und angenehmen Produkt zu mischen, das kein übles Bild der demokratischen Gesellschaft von heute darstellt.
Aber die Hauptsache bei einer Bowle sind immer die Leute, die sie trinken.
Und alle trinken Bowle, wenn es darauf ankommt.
Die Bowlengegner verkünden, man solle den Wein trinken, wie er gewachsen ist und kein Haaröl daraus machen.
Nun ist es aber höchst merkwürdig, daß grade in den Gegenden, wo ein guter und bouquetreicher Wein wächst, die Bowle grassiert: An Rhein und Mosel Da ließe es sich verstehen, daß jedermann den Wein lieber pur tränke. Und grade da wird unvermeidlich eine Bowle angesetzt, sobald eine Gesellschaft zusammen sitzt, die fröhlich ist oder fröhlich werden will. Es kann nicht allein daran liegen, daß immer ein Herr dabei ist, der seine Bowlenkunst glänzen lassen will. Es ist vielleicht, weil dort herum die Leute gewöhnt sind, mit den Nasen ebenso verständnisvoll wie mit Zunge und Gaumen zu trinken. Sie werden es daher nicht müde, diesen kombinierten Genuß sich in immer größerer Abwechslung zu verschaffen. Und dann: Wenn einer in der Jugend, im Zustand der Verliebtheit eine Mai- oder Erdbeerbowle getrunken hat, wird er später stets sich die Illusion der Jugend und der Verliebtheit verschaffen, wenn seine Räusche nach Waldmeister oder Erdbeer duften. Reminiszenz ist Aufguß von Glück und Genuß.
Die Bowle war erfunden in dem Angenblick, wo ein Mann, der im Trinken ästhetische Befriedigung suchte, auf den Gedanken kam, ob man den Dust des Waldmeisters, des Pfirsichs, der Erdbeere nicht auch trinken könne, statt ihn bloß zu riechen. Erst waren es nur schüchterne Versuche. Als Stamm, als Wildling sozusagen, auf den das edle Dustreis gepfropft werden sollte, nahm man einen wirklichen Wildling, einen herben Säuerling, dessen Herbheit mit Zucker gebändigt und dessen Proletariertum mit Aroma geadelt wurde. Das war die klassische Epoche der Bowle.
Ist die Corona so geschickt gemischt, wie die Bowle selber, aus Anmut und Kraft, aus Stille u. Rauschen, so gibt es einen guten Klang.
Und zum Schluß will ich meinen Verdacht nicht verschweigen, daß die Männer die Bowle nur deshalb ersunden haben, damit die Frauen sich auch zuweilen einen Schwips trinken.