Belgien dringt bei uns langsam ein. Die weißen Auto-Nummern auf blauem Grund werden immer zahlreicher. Und nun stellt sich auch belgische Kunst immer häufiger vor.
Nach dem belgischen Salon vom letzten Herbst kommt ein Solitär, Jean Stevan, mit fünfzig Bildern, die er im ersten Stockwerk des Hauses Aladin, Paradeplatz, zu einer interessanten Ausstellung vereinigt hat und von denen bis heute zirka die Hälfte verkauft sein dürften.
Die belgische Kunst war von jeher der Zwangsjacke der Schulen abhold. Sie ist die wenigst istische von allen. Der starke Individualismus der Rasse dringt bis in die feinsten seelischen Verästelungen auch des Künstleringeniums. Der belgischen Psyche ist Kunst keine Modesache, sondern eine Sache der Persönlichkeit.
Auf diesem geistigen Boden ist auch der Maler Jean Stévan gewachsen. Er war, wie es heißt, als Sänger ausgebildet und wurde Maler, weil die Harmonie der Farben und Linien in ihm sang. Er gehört zu keiner Schule, er wurde im Angesicht der Natur, grade wie unsere Besten, wie Franz Seimetz.
So prägt sich seine Individualität in seiner Kunst aus. Sie ist eine freudige Lebensbejaherin, sie klingt von Farbensüße und verschmäht nicht zuzeiten einen Hang zum Sentimentalen und Mystischen, der durchaus nichts Krankhaftes zu haben braucht. Die Art hat etwas von Chopinscher Musik. Er ist Romantiker mit modern bereicherter Technik.
Zuerst fällt die Vorliebe für zarte, aber leuchtende Farben auf. Bilder mit einzeln stehenden Bäumen in voller Blüte und sein abgetöntem Hintergrund sind relativ häusig. Typisch für die Art ist der alte Apfelbaum (Nr. 8), den wir dem Künstler aufs Wort glauben wollen, obgleich bei uns die Apfelblüte ein wenig anders aussieht. Unsere Apfelbämne haben gedrungenere Blütenklumpen, als dieser knorrige Sohn der Brabanter Ebene. Aber das Bild besticht, zumal auch durch den Hintergrund, wo ein Dörschen mit Kirchturm in einer Wiese unsäglich idyllisch versinkt. Diese Serie von Bildern - in einer raffinserten Sansthelt, sozusagen in der Sourdine und doch in leuchtenden Farbenwerten gehalten, erinnert an das Genre Restor Outer’s, eines andern Belgiers, der in unsern Kunstsalons ein ständiger Gast ist und hier eine Gemeinde gefunden hat, die derselben Geschmacksrichtung angehört, wie die Käufer der Stévan’schen Bilder.
Dem Frühlinghaften dieser Werke treten wieder andere mit dunklerer Palette, krästigeren Tönen und entschlossenerer Stimmung an die Seite. So z. B. Nr. 1, Nr. 10, Nr. 15, Nr. 23, Nr. 30 u. a. m. Der mystische Anklang in der Art des Malers, wie er z. B. in einzelnen rosagrauen und nebelverschleierten Bildern sestzustellen ist, wird besonders in seinen Kirchenbildern vernehmbar, an denen vor allen. Dingen die perspektivisch einwandfreie Zeichnung zu loben, auch der Gegensatz zwischen Dämmerlicht und Kerzenschein oder eindringender Tageshelle wirkungsvoll ausgenützt ist.
Eine vierte Facette seines Talentes zeigt Stévan in seinen Stilleben und Blumenstücken, die ganz auf Farbenzusammenwirkung eingestellt sind.
Nach den beiden jungen ausstrebenden Luxemburgern Kratzenberg und Schaack, die vor einiger Zeit im selben Raum ausgestellt hatten, kommt der ebenfalls junge Belgier, und sein Erfolg beim kausenden Publikum ist ein Kulturphänomen, über das ein näheres Nachdenken sich lohnen dürfte.