Wenn vor zehn Jahren jemand gesagt hätte: Die Amerikaner werden zu Hunderttausenden herüber kommen, Europa überschwemmen, die alte Welt gewaltsam amerikanisieren - und nach sechs Monaten wieder abziehen: was glaubt Ihr wohl, daß am nachhaltigsten von allem fortwirken wird? so wette ich, daß jedermann business und nicht ein einziger daneing gesagt hätte.
Und doch ist das Dancing von allem Amerikanischen, was uns verblieben ist, das Kulturelement - wenn ich so sagen darf -, das am tiefsten in unsere Sitten oder Unsitten eingedrungen ist.
Jetzt ist es soweit, daß es aus den Schichten, in denen man sich schrankenlos amüsiert, bis dahin emporgedrungen ist, wo der Geist der Familie weht und uneheliche Nebengedanken keine Stätte haben dürfen.
Als ich vor einigen Tagen am alten Luxemburger Hof in der Wassergasse das Schild las: Palais daneing, dachte ich an eine alte Marquise, die ihren Enkeln zulieb noch den Foxtrott lernt.
Auf dem Namen „Luxemburger-Hos“ liegt für alle alten Luxemburger der Abendrotschein einer versinkenden Zeit. Jener Zeit, da im Roten Brunnen prenßische Rekruten das Wasserrad traten, wo man sich beizeiten durch die Festungstore heimschaffen mußte, wo vor der Hauptwache am Paradeplatz noch die Kanonen mit den Kugelpyramiden davor standen, wo wir uns im letzten Stadium des Geschlucktwerdens befanden, ahnungslos, was weiter mit uns geschehen könnte und daß wir wider Erwarten durch ein gütiges Geschick dicht am Abgrund vorbeigesteuert würden, wo sich Bürger und Militär auf allen Kirmessen der Nachbarschaft prügelten, wo trotzdem das Schinkenbrot fünf und der Patt Grächen drei Sous kostete, wo man von Bolschewismus und Fliegerbomben und Dancing noch keine Ahnung hatte und die Zeit nach der süß behäbigen Weise ging: Als der Großvater die Großmutter nahm.
Aus jener Zeit liegt vor mir die Halbjahresrechnung, die ein Stammkunde des „Luxemburger Hofs“ am 16. Januar 1819 an den Hotelbesitzer Herrn P. Hastert Vater bezahlt hat. Sie beträgt im Ganzen 49 Franken 15 Centimes. Obenan steht eine halbe Flasche Köpchen mit Fr. 0.70. Die Marke Köpchen beherrscht das Terrain. Nur einmal, am 9. Oktober, trinkt der Mann eine Flasche St. Julien für 2.50 Fr. Es ist zu bedenken, daß der „Luxemburger Hof“ damals das beste Haus der Stadt war und demgemäß Anspruch darauf hatte, die teuersten Weine zu verzapfen. Einmal, am 8. November, verzeichnet die Rechnung außer dem Diner mit einer halben Flasche Köpchen und einer Tasse Kaffee nur noch ein Glas Zuckerwasser! Um dieselbe Zeit herum findet ein Abendessen ohne Wein, aber mit einem Glas Kognak statt, alles zusammen für 18 Sous. Der Stammkunde muß in jenen Tagen einen verdorbenen Magen gehabt haben. Denn sonst trinkt er stets seine halbe Körchen. Der Diener bekommt keinen Köpchen, sondern Wein: Domestique, dîner ½ bouteille de vin, fr. 1.20.
Ein Posten von 8 Franken steht einmal da. Was kann dazumal 8 Franken gekostet haben? Eine kalte Pastete! Das Rezept zur kalten Pastete, durch die damals Frau Hastert aus dem „Luxemburger Hof“ zu einer Landesberühmtheit geworden war, besteht noch heute im Kreis ihrer Enkelinnen und wird von deren männlichen Angehörigen sehr geschätzt. Einerlei, für 8 Franken muß es damals sogar bei Frau Hastert ein gehöriges Trumm von Pastete gegeben haben.
Aus dem „Luxemburger Hof“ ist heute ein Dancing, aus Herrn Hastert Herr Theisen, aus der kalten Pastete ein öslinger Schinkenbrot geworden, nur der Köpchen soll derselbe geblieben sein, sagen die, die im heutigen „Luxemburger Hof“ den Grächen gekostet haben.
Möge das alte Haus weiter gedeihen und auch unsern Enkeln als Erinnerungsmittelpunkt stehen bleiben, denen, die jetzt zu den Klängen amerikanischer oder psendo-amerikanischer Weisen allerhand Steps tanzen, wo ihre Urgroßmütter und Urgroßväter sich beim Menuett verliebten.
Am Eingang zum Dancing im „Luxemburger Hof“ stand abends, als ich die Entdeckung von seinem Bestehen machte, ein junger Mann, der die Gäste scharf musterte. Er hatte keine Flügel und kein flammendes Schwert, aber er behütete ganz sicher ein Paradies. Das war auf alle Fälle die Ansicht des jungen Volks, dem ich durch die offenen Fenster zusah, wie es sich drinnen im Reigen drehte.