Original

8. Juni 1921

Ich empfinde das Vedürfnis und die Pflicht, Herrn Stadtvater Marcel Cahen zu Hilfe zu eilen.

Er stellte am Samstag im Gemeinderat den Antrag, daß von der „Schmett“ im Grund ein Aufzug nach dem Hl. Geist-Plateau gebaut würde, um den Bewohnern jener Unterstadt, die im Volksmund die „Grönneschen“ heißen, die mühsame und weite Steigung bis zur Oberstadt zu ersparen.

Spaßvögel waren sofort bei der Hand, um diesen Aufzug als Gegenstück zur Clausener Haltestelle elektoralen Andenkens auszuschlachten und zu behaupten, Herr Cahen wolle damit die Leute aufziehen.

Ich schenke es mir, hier alle die Witze ins Kraut schießen zu lassen, zu denen das Wort heraussordert, und beeile mich, den Zweiflern und Gegnern zu versichern, daß sie rechte Krähwinkler sein müssen, um einen derartigen Aufzug ins Reich der Utopie zu verweisen.

Öffentliche Aufzüge gibt es in allen Städten, in denen sich Riveau-Unterschiode vorsinden, wie sie in Luxemburg den Verlehr hemmen. Ich will nicht von dem Aufzug reden, der in Monte Carlo gleich vor dem Bahnhof die Roisenden zum Kasino hinaufbefordert. Aber in Neapel z. B. wird der Verkehr bergauf und bergab grade in Stadtvierteln, in denen zum Teil die niederen Volksschichten zuhaus sind, durch Aufzuge vermittelt. Und in den schweizer Städten mit starken Riveauunterschieden sind Aufzüge etwas Alltägliches.

Statt sich über den Antrag Cahen zu wundern, sollte also die öffentliche Meinung ihm als etwas durchaus Selbstverständlichem zustimmen.

Ein Tunnel ist nach allgemeinen Begriffen heute das allernatürlichste Mittel, einen lästigen Umweg in der Wag- oder Senkrechten zu vermeiden.

Nun, ein Aufzug ist ein Tunnel, der durch die Luft, statt durchs Gebirge führt und vertikal statt horizontal verläuft.

Außerdem ist er wahrscheinlich billiger.

Wenn in unserm Fall die Möglichkeit bestände, ein abgelegenes Stadtviertel durch einen Tunnel von beiläufig dreißig Meter dicht an den Mittelpunkt der Stadt heranzubringen und den Leuten einen mühsamen, steilen Umweg zu ersparen, so würde sich alle Welt darüber ärgern, wenn ein solcher Tunnel noch nicht gebaut wäre.

Statt dessen besteht die Möglichkeit, dieselbe Erleichterung durch einen Aufzug, einen Lufttunnel zu bewerkstelligen. Indes wegen der relativen Neuheit und Ungewohntheit des Vorschlags wird er sofort als Wahlversprechen rubriziert. Aber eben nur von denen, die auswärts nie dergleichen Aufzüge gesehen haben.

Natürlich wird der Aufzug Betriebausgaben erfordern, elektrischen Strom, Bedienung usw.

Aber wenn wir den „Grönneschen“ eine Tram nach der Oberstadt bauen, wird der Bau und werden die Betriebskosten noch viel höher. Den Aufzug kann womöglich ein Mann bedienen, der zugleich die Karten ausgibt, die Elektrische braucht Wattmann und Schaffner. Und die Fahrt im Aufzug dauert zehn Sekunden, während sie in der Trambahn zehn Minuten mindestens dauern wird.

Sehen Sie, die Idee mit dem Aufzug ist sehr ernst zu nehmen, und man darf sich nur wundern, daß sie nicht schon seit langen Jahren Gestalt gewonnen hat.

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    Katalognummer BW-AK-009-1931