Anonym Diekirch. - Sie schneiden aus einer amerikanischen Zeitung eine Sämerei-Rekkame und animieren mich zu einem Abreißkalender darüber.
Es ist eine geschickte Reklame. Das Samenkorn, für das Reklame gemacht werden soll, wurde angeblich in der Hand einer egyptischen Mumie gefunden und nach 5000 Jahren dem Boden anvertraut. Und keimte und wuchs.
Daraus soll ich nun etwas machen.
Ich danke für Ihre freundliche Mitteilung. Es war nett von Ihnen, daß Sie mir mit einem Plauderstoff unter die Arme greifen wollten. Es wäre noch viel netter gewesen, wenn Sie es nicht anonym getan hätten. Es ist kein erhebendes Gefühl, sich vorzustellen, daß jeder im Publikum denkt, er braucht einen bloß so anzutippen, damit es einen Schall gibt. Ich will wissen, wem ich eine Anregung verdanke, können Sie das begreifen? Wenn man von jemanden einen Dienst entgegen nimmt, will man ihn kennen. Überlegen Sie, in welche Verlegenheit Sie gerieten, wenn jemand Ihnen anonym einen Fünffrankenschein einschickte und dazu schriebe: Kaufen Sie Sich dafür eine gute Zigarre. Anonyme Wohltäter sind die schlimmsten. Es gibt Wohltaten, die der, dem sie zugedacht sind, nicht annehmen will. Werden sie ihm anonym zugefügt, so kann er sie nicht zurückweisen und er ärgert sich ziellos in die Masse hinein.
Die Geschichte vom Mumienweizen, auf die jene amerikanische Sämereihandlung-Reklame zurückgreift, ist sehr alt. Es besteht darüber ein bekanntes Gedicht von einem deutschen Dichter, dessen Namen mir im Augenblick nicht einfällt, aber das auf mich, als ich es vor langen Jahren las, einen tiefen Eindruck machte. Ich vermöchte Ihnen auch nicht zu sagen, ob der Weizen oder sonst ein Samen mehrere Jahrtausende lang seine Keimfähigkeit behält. Aber wenn man in der Hand einer Mumie heute Weizenkörner findet, so ist das ein Beweis dafür, daß die alten Egypter schon Weizen gebaut und Brot gegessen haben. Die alten Chinesen übrigens auch. Ob es gerade 5000 Jahre her sind, lasse ich dahingestellt.
Aber Sie sehen, daß es im Leben der Menschen und Völker Dinge gibt, von denen sie nie los kommen. Unser Magen ist heute, wie vor 5000 Jahren, immer noch auf Weizenbrot eingestellt. Das hat keine Küchenchemie verdrängen können. Und unsere Herzen können noch heute nicht leben ohne das, was schon die alten Egypter und die alten Chinesen zueinander und auseinander getrieben hat: Liebe und Haß.