In diesen Tagen, wo der Schatten des Giganten Napoleon ein erstes Mal im Kreislauf der Jahrhunderte über die Welt gleitet, ist alles von Interesse, was mit ihm zusammenhängt.
Vielleicht ist es dem geneigten Leser deshalb angenehm, wenn ich die Erinnerung an die Zeilen auffrische, die vor achlhalb Jahren an dieser Stelle erschienen. Es war ein paar Tage nach der Geburt des jüngsten Napoleoniden in Brüssel:
„Das Söhnchen, das Freitag in Brüssel die Prinzessin Victor Bonaparte zur Welt brachte, ist ein Urenkel des weiland Königs Jerôme von Westfalen.
König Jerôme hatte in erster Ehe die amerikanische Kaufmannstochter Elisabeth Pasterson heimgeführt. Sein großer Bruder eiste ihn von der Amerikanerin los und führte ihm die württembergische Königstochter Katharina ins Brautgemach, die trotz allem Mißgeschick und allen außerehelichen Seitensprüngen Jerômes niemals aufgehört hat, treu und stark zu ihrem Manne zu stehen.
Ein Sohn dieser Ehe war der Prinz, der später unter dem Namen Plonplon bekannt wurde und aus dessen Verbindung mit der Tochter Clotilde des Königs Victor Einmanuel der Prinz Victor, der Vater des kleinen Brüsselers, entsprossen ist, der von den Bonapartisten heute als Haupt der Familie und Prätendent anerkannt wird.
Der Neugeborene wird sich wundern, wenn er ein- mal groß wird und zufällig nach Charlottenburg bei Berlin kommt, daß dort in der Knesebeckstraße eine linkshändige Kusine von ihm wohnt, von deren Eigenschaft als Urenkelin Jerôme Bonapartes die Welt lange keine Ahnung hatte. Bis sie es dann eines Tages nicht mehr verschweigen konnte und darüber ein Buch schrieb.
Das Buch ist schon einige Jahre alt, aber es wird durch die Geburt dieses kleinen Vetters wieder aktual. Sie haben es sicher schon gelesen. Es heißt: „Im Schatten der Titanen“ von Frau Lily Braun. (Frau Lily Braun ist die Gattin des bekannten sozialdemokratischen Schriftstellers Dr. Heinrich Braun, geborene von Kretschman und verwitwete von Gizyki.)
Im Jahre 1892 hatte Frau Lily Braun unter dem Titel „Aus Goethes Freundeskreise“ die Erinnerungen und hinterlassenen Papiere ihrer Großmutter Jenny von Gustedt, geb, von Pappenheim, herausgegeben, die als Heffräulein der Großherzogin Maria Paulowna von Sachsen-Weimar mit Goethe und seinem Kreis vielfach in Berührung gekommen war.
Aber es drückte Frau Lily Braun, daß sie damals aus Familienrücksichten hatte verschweigen müssen, was als großes, fabelhaftes Geheimnis über der Herkunst ihrer Großmutter lag. Schließlich warf sie alle Rücksichten von sich und flüchtete mit ihrem heimlichen Zivilstand in die Öffentlichkeit.
Jenny v. Pappenheim war also die Tochter aus einem heimlichen Liebesbund König Jerômes mit Diana von Pappenheim, der Gemahlin des um zwanzig Jahre älteren, kranken und gebrechlichen Weimarer Exkammerherrn Wilhelm Maximilian von Pappenhelm. Als Jenny am 7. September 1811 in dem kleinen Landhaus Schönfeld, zwischen Kassel und Napoleonshöhe geboren wurde, lebte der noch, der durch die justno nuptiac als ihr Vater demonstrieret wurde. Nach dem Tode Pappenheims wurde der Bund mit einer zweiten Tochter gesegnet, die als Gräfin Schönseld lebte und als Schwester Pauline de la Croix in einem Pariser Kloster starb.
Fast mehr noch, als die Briefe Jerômes an Jenny, die in dem Buch veröffentlicht werden, zeugt für die bonapartistische Abstammung der weichtrotzige Mund. Jennys, der dem ihres Vaters aufs Haar gleicht.
Das Wohlinendste an dem Werk Lily Brauns ist die tapfere Art, wie sie das Bild des „Königs Lustik“ von dem Schlamm reinigt, mit dem es unwissende, parteiische und selbstgerechte Geschichtschreibung beworsen hat.
Es beginnt überhaupt, auch und grade in Deutschland, um die Dinge und Menschen von vor hundert Jahren zu tagen, und der, den sie den korsischen Bluthund nannten, erscheint selbst dem deutschen Spießer allmählich in reineren und wahrheitsgetreueren Umrissen.
Hundert Jahre hat es allerdings gedauert, bis diese Sonne durch den Nebel drang.“