Original

21. Juni 1921

Wanderer, verweile und gedenke dessen, der hier begraben liegt.

Es ist diesmal kein tater Mensch, es ist eine tote Zeit.

Sie liegt begraben in einem Bild, das bei Wierschem im Schausenster ausgestellt ist.

Vor zirka 80, 90 Jahren war eines Tages ein Malersmann von Luxemburg nach Echternach gezogen. Er hatte sich an einem schönen Sommertag mit Stuhl und Staffelei, vielleicht einem Schirm darüber, neben dem „Greuzgabeelchen“ niedergelassen, um das alte Echternach mit den Sauerbergen im Hintergrund abzumalen. Vielleicht standen die Großmütter und Großväter unserer heutigen Echternacher als Bäblein und Mägdlein mit großen Wunderaugen hinter ihm und sahen ihm zu wie ein Turm nach dem andern sich emporspitzte, wie ein Brückenbogen sich neben den andern wölbte, wie das blaue Band der Sauer und der grüne Wiesenplan auf dem Papier wurden, wie vielleicht die Dächer ihrer Elternhäuser unter dem Pinsel des Malers in die Erscheinung traten und wie dieser dann zufrieden lächelnd den Tuschlasten beiseite legte und sich eine Pfeife stopfte.

Heute steht das Bild bei Wierschem im Schausenster. Es ist natürlich von Fresez. (Ich weiß nicht, ob er Pfeife rauchte, aber es macht sich gut im Zusammenhang.) Und die Basilika hat ihre Auferstehung noch nicht gefeiert, sie ist noch eine Porzellanfabrik und anstelle eines Turmes baut sich ein viereckiges Ungerüm hoch, das wie ein Rauchschlot aussieht.

Und dann zog lange Jahre später ein anderer Malersmann gen Echternach, der hieß Franz Seimetz, und malte die alte Abteistadt von allen Seiten ab, weil er so mit ihr verwachsen war, daß er hinein gehörte, wie der hl. Willibrardus. Und er saß eines Tages nicht weit von der Stelle, wo fast ein Jahrhundert vorher sein Kollege Fresez gesessen hatte, und vielleicht sahen ihm die Enkel und Enkolinnen der Büblein und Mägdlein von dazumal über die Schulter. Das Bild steht neben dem andern bei Wierschem. Und die Basilika ist auferstanden und reckt befreit ihre beiden schlanken Türme in die Höhe, und die Pappeln aus dem Bilde Fresez’s stehen auch noch da, und die Sauerberge sind noch so blau, wie in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Aber die Zeiten sind anders geworden. Sie sind so „kromenalisch“ geworden, daß sich ein ehrliches Malergemüt nicht mehr hineinfinden kann, und der Franz ist darüber dermaßen erstaunt, verblüfst, „sein Herr nicht mehr“, daß sich sein Gesicht zu einer Grimasse der Verdonnerung in die Länge zieht. Es steht neben den beiden Bildern und besieht sich die Welt, wie ein junger Hund einen Igel besieht, der sich plötzlich zusammengerollt hat.

Aber im nächsten Augenblick wird Franz sich erholen und seine Philosophie in seinen alten Spruch zusammenfassen: Spuck auf die Welt und werde geistlich!

Denn die haben es schließlich noch am besten, wie gleich daneben der Bruder Kapuziner mit dem grünen Regenschirm beweist, den der Franz einst auf einer Italienreise gemalt hat und der aussieht, als träte er direkt aus einer Geschichte Boccacios heraus.

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KatalognummerBW-AK-009-1942