Ich sagte vor einigen Tagen, die größte Kunst im Leben sei Warten.
Beinahe ebenso groß, wie im Leben die Kunst des Wartens, ist im Reden die Kunst der Kürze.
Kürze, des Witzes Würze. Und auch der Rede. Wer sich nicht beschränken kann, sagt Boileau, kann nicht schreiben. Dasselbe gilt für den Redner, der sich nicht kurz fassen kann.
Sich kurz fassen ist schwerer, als einfach daher reden: „Ich hatte nicht die Zeit, mich kurz zu fassen,“ sagte ein französischer Redner zu seiner Entschuldigung.
Nichts ist leichter, als eine Rede breit und nachlässig, im Negligé sezusagen, dahinfließen zu lassen, wie die Kuh aus vollem Euter die Milch gibt. Aber eine Kuh wird nie kondensierte Milch geben können. Womit nicht gesagt sein soll, daß ein breiter Redequatsch umsoviel besser als eine kurzgesaßte und gut durchdachte Rede sei, als frische Milch besser ist als kondensierte. Umgekehrt. Es soll nur klar gemacht werden, daß zum Kondensieren mehr gehört, als zum einfachen Laufenlassen.
Wer einige Übung hat, sieht dem Redner sofort an, ob er reden, das heißt seine Gedanken denken, ausdrücken, verdichten kann oder nicht. Es liegt daran, wie einer sich zu den Zuhörern stellt. Die einen sehen die Zuhörer gar nicht an, denken sie sich womöglich fort, scheinen einen Punkt irgendwo im Leeren mit den Blicken zu erfassen und zwischen diesem Punkt und dem betreffenden Gehirnzentrum ihre Gedanken zu spinnen. So z. B. seinerzeit Josef Brincour, der nicht sprechtechnisch, aber gedanklich einer der hervorragendsten Redner unseres Parlaments war. Er sah vor sich hin, auf den Fußteppich grade unter dem Kronleuchter, und seinem Mund entflossen in gedrängtester, druckfertiger, tadelloser Form die Sätze, von denen fast jeder ein kostbares Gedankengesäß war. Er führte und wurde nicht geführt, im Reden wie in der Strategie ein enormer Vorteil.
Die Hilflosen, die Primitiven dagegen reden fortwährend im Bann der Zuhörer. Ich hatte vor langen Jahren in der Kammer einen guten Freund, der zu dieser Sorte von Rednern gehörte. Ich sagte zu ihm: „Peter, Du bist eine Seele von Mensch, Du meinst es vorzüglich, Du hast gesunden Menschenverstand und manchmal auch eine gute Idee. Aber statt sie in drei Worten klipp und klar hinzulegen, spinnst Du sie zu einer stundenlangen Rede auseinander. Um Dich herum sitzen die Abgeordneten, Freunde und Feinde, die einen schreiben Briefe, die andern lesen die Zeitung, die andern hören Dir zu oder tun so, als ob sie Dir zuhörten. Du guckst ihnen ins Gesicht und hast beständig das dumme Gefühl, daß sie Dich nicht verstanden haben oder nicht mit Dir einverstanden sind. Siehst Du, die können zuhören, aber Du kannst nicht reden, so schön es Dir auch klingen mag und so sehr Du auch überzeugt bist, daß Du es besser kannst, als der Herr Pastor, über dessen Sonntagspredigten Du früher eingeschlafen bist. Die sehen Dich alle teilnahmlos an, und das ist auch eine Kunst: Zuhören und kalt bleiben, tun, als ob das alles einem nicht unter die Haut ginge. Und statt sie zu verachten und zu denken: Ich habe doch recht, und das Recht wird schließlich doch siegen, ob Ihr mich versteht oder nicht - gehst Du auf den Leim, fängst immer wieder von vorne an, läßt Dich von Deiner Idee im Kreise herumzerren, findest keinen Ausweg, meinst, solange Du da stehst und Deine Meinung laut von Dir geben darsst, sei Deine Meinung siegreich.
Lieber Peter - sagte ich - das ist nicht wahr. Wenn Du etwas Gutes weißt, so sage es einmal, kurz, klar, eindringlich. Wenn einmal nicht hilft, wird zehnmal auch nicht helfen. Du machst es nur schlimmer. Du hast ja schon einen Nagel eingeschlagen: Schlägst Du ihn in Holz, so sitzt er mit drei Schlägen, hämmerst Du weiter, so geht das Holz in Stücke. Willst Du ihn in Stein oder Eisen schlagen, so kannst Du hämmern, solange Du willst, man lacht Dich nur aus.
„Meinst Du?“ sagte Peter nachdenklich.
„Ganz gewiß!“
Es hat natürlich nichts geholfen. Er ist als Bandwurmredner berühmt geworden.