Original

26. Juni 1921

In der letzten Stadtratssitzung wurde in Aussicht gestellt, daß die Stadt demnächst ein gutes Geschäft mochen wird, indem sie die Seitenflächen der Trambehnwagendächer und die Innenwände der Badeanstalt zu Reklamezwecken verpachten will.

Diese Prostitution öffentlicher Einrichtungen im Dienste des Geschäfts ist vielleicht sehr einträglich, kann aber sehr unästhetisch u. manchmal sehr entwürdigend werden. Man erlaubt keinem Kaufmann, sich auf die Nathaustreppe zu stellen und durch ein Sprachrohr seine Ware über den Marktplatz anzupreisen, oder bei einer Hochzeit vor dem Zivilstandsamt Kunden anzureißen. Das sähe jedenfalls insofern merkwürdig aus, als der Käse oder die Unterhosen, die fraglicher Kaufmann an den Mann bringen wollte, bei der Zeremonie als die Hauptsache erschienen. Ebenso irreführend muß es wirken, wenn an einem Trambahnwagen die Richtungsvermerke verschwinden unter den Anpreisungen von Motorpflügen, Champagnermarken. Schreibmaschinen und Gummi-Artikeln. Man hat den Eindruck, als ob die Stadt eigens Trambahnen gebaut hätte, damit für diese Artikel wirksam Reklame gemacht werden kann.

An Trambahnwagen ist das nicht so schlimm, weil sie stets vorbeifahren und niemand den Anblick lange zu ertragen braucht. Wenn aber das ganze Städtebild, eine ganze Landschaft, ganze Flußtäler, Hunderte von Kilometer Land an den Eisenbahnen entlang von dieser aufdringlichen Reklame so überzogen werden, wie von einem juckenden Ausschlag, so wird die Sache für den guten Geschmack gemeingefährlich.

Unserm Schöffenrat ist zuzutrauen, daß er das Innere der Badeanstalt nicht einer geschmacklosen Reklame preisgeben wird. Es sind hoffentlich nur solche Plakate in Aussicht genommen, die künstlerisch wirken. Man sehe z. B. die Reklamebilder, mit denen französische und deutsche Champagner- und Sektfirmen ihre Produkte anpreisen. Es sind Zeichnungen erster Künstler, der Beschauer muß davor das Empfinden haben, daß es eine ästhetische Beschäftigung ist, ein Glas Schaumwein zum Munde zu führen.

Warum könnte man nicht die Bedingung stellen daß eine Firma, die in der Badeanstalt Reklame machen will, dazu ein Künstlerplakat benützen muß, womöglich von einem luxemburger Maler? Unsere Geschäftswelt macht viel zu wenig Gebrauch von diesem Mittel, die Kauflust der Massen zu reizen. Man kennt hierzuland eine Firma, die den Wert dieser Art Reklame ersaßt hatte und ihre Produkte in zahlreichen, bildhaft wirkenden, oft äußerst originellen Plakaten anpries. Es war die Tabaksabrik Heintz-van Landewyck. Unsere jungen Maler würden sich freuen, vor die Aufgabe gestellt zu werden, orginelle, moderne, wirksame Reklameplakate zu entwerfen, die auch an den Wänden öffentlicher Gebäude eine Zierde darstellen könnten.

Ein ungeeignetes Mittel indes, das Innere unserer öffentlichen Gebäude ästhetisch auszugestalten, kommt zurzeit in der Treppenhalle des städtischen Saalbaues, Cercle genannt, in Anwendung. Irgend jemand scheint an der monumentalen Geräumigkeit dieser Helle Anstoß genommen zu haben. Da ihm kein Bildwerk von Wert zur Verfügung stand - die Marmorsiguren der Pescatore-Sammlung hätten durch ihre Nacktheit öffentliches Ärgernis erregt - kam er auf den Gedanken, Feuerlöschmaterial, Wagen, Leitern, Schläuche usw. in einer der leeren Ecken unterzubringen. Heute prangen sie da. Aber das ist nur halbe Arbeit. Eine Seite möbliert, die andere leer, das wirkt wie ein Gesicht mit einer geschwollenen Backe. Wozu haben wir denn unsere Latrinenreinigungsartillerie? Es ist unverzeihlich, daß nicht längst eine Piffmaschine als Pendant zu den Pompiersgeräten in der Treppenhalle des Cercle aufgestellt ist, und ich hoffe zuversichtlich, daß Herr Marcel Cahen in der nächsten Sitzung den Schöffenrat wegen dieser unverzeihlichen Nachlässigkeit energisch interpellieren wird.

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