Original

2. Juli 1921

Diese Zeit steht im Zeichen der Geranlen.

Die Juli- und Augustsonne wollte eine Blume, die mit ihren Strahlen lebhaft genug spielen könnte. Die Rosen trinken die Sonne in sich hinein. Die Geranien fangen sie auf, strahlen sie wider, es ist, als kämpften sie mit ihnen und es gäbe einen tiefen, warmen Farbenklang.

Keine Blume vermag in der Sonne zu leuchten, wie die Geranie. Sie hat das flammende Rot, dem etwas Absolutes eigen ist. Ein Maximumrot. Es ruft seine Farbe in den Tag, wie ein Herold. Die Geranie seiert schamlos unter freiem Himmel die Hochzeit von Licht und Farbe und schreit heiß Erfüllung.

Sie ist nicht vom Rot des Blutes noch des Karmins noch des Purpurs noch des Zinnobers oder der Flamme. Ihr Rot ist das der tiefen Leidenschaft, der ruhigen Inbrunst. Es ist das Rot der Erfüllung.

Darum ist sie die Ferienblume.

Wer sich durch die Arbeitsschlacht des Jahres durchgeschlagen hat und im Waffenstillstand der Ferien sich seines Menschseins freut, der begrüßt überall die Geranie als seine Freundin, die Schönheitslichter auf seine Ferienfreude setzt.

Ob sie im alten Bern aus den Dachfensterchen der Straßen und Sträßchen quillt, die zum Bärenzwinger hinunter führen, ob sie in Paris an der Madeleine auf die Midinette wartet, die sie in ihre Mansarde tragen wird, ob sie in prunkenden Beeten vor Denkmälern ihre Glut ergießt oder aus Ufergärten an blauen Seen die vorüberziehenden Schiffe grüßt, sie ist die Blume, die an freie Wochen, an die „schöne wilde Welt“, an den sonnigen Gipfel des Jahres erinnert.

Sie ist nicht dazu geeignet, daß man sie in Sträuße bindet oder ins Knopfloch steckt, wie Flieder und Rosen und Schwertlilien. Sie ist eigentlich keine Blume, sie ist - nach berühmtem Muster - ein Vorwand, damit eine Farbenseele auf Erden weile.

Und jedes Jahr, wenn in den Gärten und auf den Fensterbänken die Geranien zu leuchten anfangen, sehnft Du Dich nach den Zügen, die in die Weite führen, nach der Fremde, an der Du Dich innerlich erneuerst, nach den fremden Wäldern und Wassern und Städten, und den fremden Menschen, die Dir ein Rätsel sind, nach allem, was Dich vom gewohnten, geheimnislosen Alltag fortlockt ins Ungewohnte, Geheimnisvolle, Neue, an dem Du frisch und jung wirst, weil Du nicht alles um Dich herum auswendig weißt.

Note Geranien, Blumen der Sonne, der Neuheit und Weite, seid gegrüßt.

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KatalognummerBW-AK-009-1952