Samstag, 2. Juli 1921. Tag des Muskels. Tag der Körperlichkeit! Match Carpentier-Dempsey.
Eine Sonnenfinsternis, eine Kriegserklärung, die Unterzeichnung des Waffenstillstandes von 1918 - das waren früher so Ereignisse, die die Menschheit interessierten. Sie sind ein einfaches Flohhusten gegen den (Boxermatch Carpentier-Dempsey.)
Vor Jahren einmal ging es bei dem Match, in dem Johnson Sieger blieb, weiß gegen farbig und die amerikanische Volksseele kochte über. Man hörte später sogar, daß die weiße Frau, die den siegreichen Neger geheiratet hatte, die Verachtung ihrer Stammesgenossen nicht mehr ertragen konnte und sich erhängte.
Heute steht Frankreich gegen Amerika.
Aber in dieser völkischen Gegenüberstellung liegt nicht der ungeheure Zauber, den das Ereignis auf die Menschheit ausübt.
Zwei andere Faktoren stehen gegeneinander: Körper und Intellekt. Und der Körper ist im Gang, seinen verlorenen Rang wieder zu erobern.
Aus meinen Pennälerjahren erinnere ich mich eines Jugenderziehers, der vom Körper als vom Bruder Esel sprach, den wir knechten und knuten müßten, der überhaupt kein Recht hätte, eine Art Frechdachs; der es darauf angelegt hätte, der Seele die Tugendhaftigkeit und dem Geist das Eindringen in das Wesen der Dinge heimtückisch zu erschweren. Er müßte an die Kette gelegt, auf Hungerration gesetzt werden.
Das war so ungefähr der Geist, der dazumal durch die intellektuelle Welt Europas ging. Die griechische Grammatik stand ungleich höher im Kurs, als das schwedische Turnen.
Aber allmählich hat der Bruder Esel begonnen, sich zur Wehr zu setzen. Er merkte, wie er bei den Angelsachsen viel höher im Kurs stand und wie er ihnen geholfen hatte, ein gut Stück der Welt zu erobern. Er war es müde, von seiner hochmütigen Mieterin, der Tyrannin Seele, langsam zugrunde gerichtet zu werden. Sie war wie eine Partei, die in einer Wohnung die Tapeten verschleißt und die Boden abnutzt und die Fensterscheiben zerbricht und nie für Reparatur sorgt.
Der Bruder Esel sagte: Verzeihen Sie, ich bin auch noch da. Sie scheinen zu vergessen, daß Sie auf der Straße zuhaus sein werden, wenn Sie Sich das Dach überm Kopf einfallen lassen.
Da begann die Welt sich für Körperkultur zu interessieren. Im Prozeß Dreyfus schien sie zum letzten Mal sich moralisch aufgepeitscht und ausgegeben zu haben. So um jene Zeit herum setzte das Interesse für Körperpflege im weitesten Sinn stärker ein und trieb in Berlin sogar die seltsame Blüte der Racktkultur, durch pervers geflissentliche Betonung eines Selbstverständlichen. Tennis, Fußball, Schwimmen, Turnen, Wandern waren auf einmal nicht mehr die Allotria, als die sie früher bei allen guten Spießern verschrieen waren, sie eroberten den hellen Tag. Der Krieg, der alles köperliche Handeln, alle Materialität wieder ausschlaggebend machte, hat die Tendenz zum Sichtbaren, Greifbaren, Untrückierten verstärkt und vertieft, und körperliche Tüchtigkeit ist mehr als je Trumpf. Das alte Wort ist umgedreht: Corpus sanum pro mente sana. Der Corpus steht als Hauptsache an der Spitze. Vielleicht schieben Denker dem Kino auch diesen Umschwung in die Schuhe. Ich bin überzeugt, daß der Grund zur Reaktion viel tiefer liegt und mit Dingen der Rasse und Geschichte zusammenhängt.