Original

7. Juli 1921

Gestern fiel mein Blick auf einen Glasklicker, den mein Fuß angestoßen hatte und der blinkend vor mir über den Weg rollte.

Es war einer jener kostbaren Klicker, die wir als Kind „Aga“ nannten. Das Wort kommt von Achat und hat einen zärtlichen Klang. Es klingt so weich, wie die Liebkosung der glatten Kugel sich in der Innenfläche der Hand anfühlt. Wer eine Aga hatte, dünkte sich im Besitz eines Schatzes, und wenn er sie verlor, grämte er sich tief.

Die Aga, die mein Fuß angestoßen hatte, war inwendig von Pol zu Pol mit farbigen Fäden durchsponnen, die seitwärts verdreht waren und umso köstlicher und sonderbarer wirkten. Ich blieb über ihr stehen und es war, als sagte sie: „Tu nicht so vornehm. Es gab eine Zeit, wo Du Dich gierig nach mir gebückt hättest. Heute tust Du es nicht mehr. Du verachtest mich als wertlos und dünkst Dich reif und klug. Und Du bist noch so dumm, wie damals. Weißt Du noch, damals, als Du die 130 irdenen Klicker und die drei schönen Agas befaßest? Die drei adeligen und die 130 bürgerlichen Klicker, die Dein Vermögen ausmachten. Du konntest Dich nicht satt sehen an ihrem matten Schimmer und ihren diskreten Farben. Sie waren olive und grün und ockergelb und blau und braun und dunkellila. Da warst Du das erste und einzige Mal in Deinem Leben Kapitalist. Da hattest Du zum ersten und einzigen Male das Gefühl, reich zu sein. Die irdenen Klicker waren damals Euer Bargeld. An diesem Kapital lerntest Du alle Tugenden und Laster, die das Geld lehren kann. Du wurdest sparsam, ja, Du wurdest zum Geizhals. Noch ein wenig, so wärest Du zum Wucherer geworden. Aber der Wucher in Klickern wäre nicht lohnend gewesen, weil Deine Schuldner Dir hinterher eine lange Nase gedreht hätten. Du verachtetest alle, die ärmer waren, als Du, und beneidetest alle, die mehr besaßen. Du schliesst nicht mehr ruhig aus Angst, es käme Dir einer über Deine Klickerbarschaft. Wer mit seinem Klickernetmögen leichtsinnig umging, war Dir ein Verschwender, dessen Umgang Du selbstgerecht miedest. Du besprachst mit andern Klickerkapitalisten Deinen Schatz. Ihr wart eine richtige kleine Bande von Besitzprotzen.

Und dann wurdest Du zum Spieler und lerntest alle Todbetrübnis und alles himmelhohe Jauchzen der Stammgäste von Monte kennen. Weißt Du noch den Tag, wo Du Deine letzte Aga verlorest? Du hattest sie gegen 10 Irdene ausgewechselt, sie, die unter Brüdern 25 wert war! Aber Du brauchtest „Kleingeld“ zum Weiterjeuen, Du wolltest Dich herausreißen. Und dann hieltest Du Deinem Partner die geschlossene Mütze mit den letzten fünf Stück hin und er sagte: Ungrad! Und Du warst ruiniert. Weißt Du noch, wie Du ein starres Lächeln in Dein Knabengesicht bannen wolltest, und wie Du stolz davon gingest, um die Ecke, und wie Du den Kopf schluchzend an ein Scheunentor schlugst in Verzweiflung über Deinen Verlust!

Bück Dich ruhig, hebe mich auf und stecke mich ein. Ich bin moralisch soviel wert, wie ein Bündel Banknoten. Und dünke Dich nicht so erden- und himmelweit von damals! Ihr Großen treibt es mit dem Geld, wie die Kleinen mit den Klickern, und wenn Du das Spiel vom Mars herunter betrachtest, findest Du beinen Unterschied.“

Allerdings, Du liebe kleine Aga, aber man kann leider nicht immer das Spiel vom Mars herunter betrachten. Aber ich stecke Dich trotzdem ein und werde Dich zu den toten Dingen legen, die manchmal lebendig werden und zu reden anfangen.

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  • cultural object: glass bead
KatalognummerBW-AK-009-1956