Original

12. Juli 1921

Ein junger Luxemburger bittet mich, ihm in seiner Erfinderlarriere den Steigbügel zu halten.

Er hat einen Apparat erfunden, mit dem ein Mann ohne Motor, nur mit der Kraft seiner Muskeln, sich in die Lüfte erheben und darin fortbewegen, also mit einem Wort fliegen kann.

Bis jetzt war man überzeugt, daß das Fliegen erst mit der Erfindung eines hinreichend und zugleich nicht zu schweren Motors möglich geworden ist.

In Paris ist nun aber ein gewisser Poulain dabei, das Fliegen aus eigener Kraft zu versuchen. Ein Preis war ausgesetzt für den, der mit einer Flugmaschine ohne Motor zuerst zehn Meter in der Lust zurücklegt. Diesen Preis von 10 000 Fr. hat, wie gemeldet, Poulain soeben gewonnen. Sofort ist ein weiterer Preis von 20 000 Fr. für neue Bersuche ausgesetzt worden.

Mit den Flugzeugen fing es ganz ähnlich an. Erst mußte sich Lilienthal bei seinen Schwebeversuchen den Hals brechen, dann waren die Motorbauer fieberhaft an der Arbeit, ihre Apparate immer leichter und mächtiger zu gestalten, und schließlich war das Verhältnis erreicht, das zwischen den Kräften hergestellt werden mußte, damit das Fliegen sich daraus ergab.

Nun geht also die Suche wieder von vorne an. Und die Wegrichtung ist interessant. Zuerst war das Zweirad, der Muskelmotor, auf den sich der Explosionsmotor aufbaute. Feuer und Gas traten an die Stelle von Nerv und Muskel. Jetzt soll der Weg umgekehrt gehen: Vom Benzinmotor zurück zum Muskel- oder sollen wir sagen Willensmotor des menschlichen Körpers.

Das Problem ist also dieses: Das eigene Körpergewicht, plus die Maschine samt allen ihren Teilen, mit der Kraft von zwei Menschenbeinen in die Höhe heben, oben halten und fortbewegen, dabei die Luft als Bundesgenossen, als Träger benützen, dessen Bewegung zum Vorspann der eigenen Kraft machen.

Aus Abbildungen in Pariser Sportblättern war kürzlich zu ersehen, daß es sich vorläufig noch nicht um ein eigentliches Fliegen, sondern nur um das Loskommen vom Boden, das Dekollieren handelt. An einem Zweirad waren Tragflächen angebracht, mit denen der Fahrer gewissermaßen quer, in schiefer Richtung nach oben, in die Luft hineinschneiden soll. Denkt man sich den Fahrer im Stillstand und die Luft in starker Bewegung auf ihn zu, so ist es klar, daß die grade Tangente der Luft seine schief gerichteten Tragflächen emporheben und oben halten würde, solange die Lustbewegung stärker wäre, als das Schwergewicht von Mann und Rad. Dasselbe muß eintreten, wenn die Luft steht und der Mann sich bewegt, vorausgesetzt, daß er die nötige Kraft entwickelt, um sich mit dem Apparat die schiefe Fläche hinauf zu schieben, die durch das Hineinschneiden seiner Tragflächen in die Luftmasse theoretisch für ihn entsteht. Sobald er aber vom Boden los ist, hängt seine Fortbewegung nur von der erworbenen Schnelligkeit bezw. der Stellung seiner Tragflächen zur Luft ab, da er keine Luftschraube an seinem Rad hat.

Der junge Luxemburger, der mir heute morgen geschrieben hat, erklärt, er habe Fachleute an Hand von Skizzen und Erklärungen von der Ausführbarkeit seines Apparates überzeugt.

Wie wäre es, wenn jemand - es sei der Staat, die Gemeinde oder ein Privatmann - dem jungen Mann das nötige Geld zur Verfügung stellte, um seinen Apparat zu bauen und damit auf dem Glacis Versuche in großem Stil auszuführen? Eine originellere Attraktion für Groß-Luxemburg ließe sich kaum denken.

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KatalognummerBW-AK-009-1960