Original

13. Juli 1921

Morgen findet in den Kasematten des Bockfelsens zur Feier des 14. Juli ein Konzert mit allerhand Husarreiten statt.

Die Idee ist originell, und wir dürfen uns beiderseits freuen, daß die Nachkommen der Soldaten Ludwigs XIV., die vor zirka dreihundert Jahren den Bock von den umliegenden Höhen bombardierten, jetzt im Frieden und als gute Freunde sich mit den Luxemburgern in denselben Felsengängen zusammenfinden, aus deren Schießscharten damals die Spanier das französische Feuer erwiderten. Die Spanier sind fort, die Festungswälle sind geschleift, die einzigen französischen Geschütze, die wir morgen werden knallen hören, sind die Flaschen der Champagnerfabrik Mercier.

Die Idee, im Bock ein Fest zu veranstalten, ist originell, wenn auch nicht mehr neu. Sie war, soviel man heute weiß, zuerst von Amberg, dem Allerweltsamüseur, im Jahr 1892 durchgeführt worden. Amberg war gewissermaßen der Impresario der Festungsüberreste. Er hatte seine Sporen - und anderes - als Wirt in der Wachtstube verdient, die von der Festung an der Stelle neben der Villa Max Metz dem heutigen Kinderspielplatz stehen geblieben war. Dann war er in den Holzbau des Chalet Dallet am Bahnhof übergesiedelt, in den Schatten der alten Festungswälle, um bald darauf die Villa Louvigny im Park zu beziehen. Es war ihm wohl - ihm und seinen Gästen - in den alten Räumen, die harmlos ein, glücklich überstandenes Kapitel unserer Geschichte erzählten, wie ein Invalide mit einem Arm und einem Holzbein keine Schlachten und Strapazen erzählt.

So verfiel Amberg auf die Idee, im Bockfelsen ein Bierkonzert zu veranstalten. Es wurde ein voller Erfolg. Und sechs Jahre später, bei Gelegenheit eines Touristenkongresses in unserer Stadt, machte der Fahrradverein «La Rapide» ihm das Fest in größerem Stil mit noch durchschlagenderem Erfolg nach. Die damals an der Spitze standen, sind heute hoch in Amt und Würden und denken sicher nicht ohne einen Anflug von Wehmut an die schönen Tage von dazumal und an allerhand Sterne, die an ihrem Himme, standen. Felix Servais deklamierte im Bock, dicht neben dem Melusinenbrunnen ein selbstverfaßtes Gedicht über die schöne Alzette-Rixe, die Graf Siegfried in sein Brautgemach geführt hatte und die er schnöde verlor, aus eitler Neugier. Ich will ja weiter nichts sagen, aber ich habe den Dichter der Melusinenlegende im Verdacht, daß er eine Umstellung begangen hat und daß es die Melusine war, die aus weiblicher Neugier den Kladderadatsch herbeiführte.

Eines geht aus der Legende mit Sicherheit hervor: Wenn damals eine reizende Nixe in der Alzette wohnte, war diese noch sauberer, als heute. Heute würde kein Graf und kein Holzschnitter mehr eine Nixe freien, die aus dem Alzettewasser bei Luxemburg emportauchte, sogar wo es am saubersten ist.

Eine andere Sage, die uns menschlich näher steht, knüpft sich an den Bock. Sie ist unter der Feder unseres Dicks aus einem wirklichen Geschehnis entstanden. Ein Kanonier, der wahrscheinlich vor Schulden und Lotterleben nicht mehr ein noch aus wußte, soll sich vor die Mündung seiner Kanone in eine der Bockschießscharten gestellt und das Geschütz abgezogen haben. Das Resultat war in zahlreichen kleinen Bestandteilen seiner Persönlichkeit ringsum an den benachbarten Felsen und Wallmauern zu sehen. Daraus hat Dicks seinen Gottlieb Hurra gemacht und in ihm und seiner Freiesch Kätty, die ihm wegen seiner Schulden den Laufpaß gibt, derart volkstümliche und lebenswahre Figuren geschaffen, daß ein bekannter hiesiger Fabrikant, einer der besten und eingefleischtesten Luxemburger, einmal einen Korb Champagner auf die geschichtliche Echtheit von Gottlieb und Kätty verwettet hat.

Wie der Bock zu seinem Namen gekommen ist, darüber mögen sich die Gelehrten streiten. Das Volk ist überzeugt, daß er so heißt, weil er den Belagerern so oft empfindliche Stöße versetzt hat. Heute ist er ein Symbol der ganzen Stadt: Ein früher weithin gefürchtetes Kriegslokal, das Feuer und Eisen spie und das heute friedlich seine Tage hinträumt.

Möge er es bleiben, solange seine Felsmauern aufrechtstehen und er sich die Menschen geduldig den Buckel hinauf- und hinunterkrabbeln läßt.

Und möge dem dritten Bockfest gegen die zwei früheren noch ein weiteres Crescendo von Erfolg beschieden sein.

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KatalognummerBW-AK-009-1961