Original

14. Juli 1921

Venedig hatte seine Bleidächer, Sibirien seine berüchtigten Vergwerke, Luxemburg hat seine Telephonzentrale.

Nachdem mir dieser Tage beschrieben wurde, unter welchen Verhältnissen die Telephonisten und Telephonistinnen in Luxemburg arbeiten müssen, besteht für mich kein Zweifel: Hätte ich zwischen den drei obgenannten Marteranstalten die Wahl, ich würde in keinem Fall die luxemburger Telephonzentrale wählen.

Während ich dies schreibe, habe ich alle Öffnungen, durch die die Sonne hereinstechen könnte, sorgfältig angeblendet. Außerdem geht mein Arbeitszimmer nach einem kühlen Hofraum hinaus. Ich schreibe in Hemdärmeln - verzeihen Sie, Gnädigste, aber was haben Sie denn an, während Sie dies lesen? - und trotzdem ist die Hitze unerträglich. Sie haucht einen an, wie aus dem Rachen eines Ungeheuers, das Knoblauch gefressen hat, sie verursacht Halluzinationen, in denen man Wasser glucksen hört und dunkel überschattete Bergseen sieht, in denen fröhliche Sommerfrischler baden, die einen zu sich in die nasse Kühle winken.

Unterdessen hocken die Unseligen, die über sämtliche Quasselstrippen des Landes gesetzt sind, in einem Lokal, das keineswegs auf einen kühlen Hofraum geht, sondern ganz oben unterm Dach liegt. Und damit es im Sommer hübsch kühl und im Winter mollig warm sei, hat der findige Architekt über den Raum, in dem diese Beamten zu 25, 30, Herren und Damen, zusammensitzen, ein Glasdach errichtet. Der Schwitzraum in unserer Badeanstalt ist gegen diese Telephonzentrale ein Eiskeller. Ungläubige sagen, es geschehen keine Wunder mehr. Doch, hier geschieht tagtäglich das Wunder, daß nicht alle Telephonisten u. Telephonistinnen mit einander wahnsinnig werden. So wie so steht schon ihre Beschäftigung oben an unter den Berufen, die am schnellsten und sichersten zum Wahnsinn führen. Wenn unsereins nur fünf Minuten lang ein Ferngespräch mit Hindernissen aushalten muß, fangen einem schon die Nerven zu zittern an. Und diese unglücklichen Geschöpfe müssen tagaus tagein sich mit Kunden herumschlagen, die in jedem von ihnen einen Feind oder eine Feindin wittern, sie anrantzen „wie faule Fische“, sagt der Franzose, um nachher, wenn sie sich schimpfenderweise erleichtert haben, Verbindung mit der Direktion zu verlangen und eine entrüstete Klage anzubringen. Da soll einer auf die Dauer nicht verrückt werden!

Hitze aber verhält sich zum Wahnsinn, wie zur Vegetation. Sie beschleunigt Ausbruch und Wachstum. Nicht umsonst werden daher Verrückte unter die kalte Douche gebracht.

Ich würde denn auch keinen Augenblick zögern, das Anbringen von kalten Douchen in unserer Telephonzentrale zu befürworten, wenn nicht triftige Sittlichkeitsgründe dagegen sprächen. Besagte Zentrale ist nämlich zweigeschlechtlich bemannt, und es wäre nicht ausgeschlossen, daß die Aufmerksamkeit des männlichen Prozentsatzes von den Obliegenheiten des Dienstes durch das Rauschen der Douche über eine Kollegin abgelenkt würde.

Wenn es nun aber nicht gar zuviel kostet, so möchte ich der hochwohllöblichen Postdirektion nahe legen, die Telephonzentrale unter einigermaßen menschenwürdigen Verhältnissen unterzubringen. Sollte sie dies für überflüssig halten, so wäre ihr zu raten, sich einmal ein paar Tage lang von 10 vormittags bis 4 nachmittags mit dem Telephonpersonal zusammen unter das berüchtigte Glasdach zu setzen.

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KatalognummerBW-AK-009-1962