Original

20. Juli 1921

„Wollen Sie Sich keinen Platz steigern?“ fragte mich ein freundlicher Herr, als ich über den Knodler ging, während im Stadthaus die Schobermeßplätze versteigert wurden.

Ich aber dachte an den Vers von Lentz: „Daß no dem Fre’johr Summer könnt An d’Schuebermeß ma’m Wanter. ...“

Im Juli also wird man schon mit der Nase auf die Schobermeß gestoßen, die Lentz als Übergang zum Winter zeichnet! Sie stellt sich breitspurig auf die Schwelle und sagt aufdringlich: Der Sommer ist aus, der Herbst fängt an, und hinter ihm lauert der Winter!

Die Schobermeß kürzt uns den Sommer, markiert brutal deutlich den Übergang, schneidet an der Grenze zwischen August und September ein Stück ganz für sich heraus, als ob es nicht in die Jahreszeiten gehörte und macht aus dem leisen, unmerklichen Übergang einen breiten Graben. Diesseits glauben wir uns noch im Sommer, jenseits sind wir schon weit im Bergabtreiben nach dem Oktober, nach Allerheiligen, nach dem Winter zu.

Darum habe ich gegen die Schobermeß immer ein gewisses Feindseligkeitsempfinden genährt, wie sehr sie sich auch Mühe gegeben hat, mich zu versöhnen. Und das muß gesagt werden: Es war oft „riesig nett“. Eine gewaltige Temposteigerung, allerlei Unvorhergesehenes, eine Atmosphäre der Sorglosigkeit, nach verschiedenen Richtungen stark ausgeweitete Möglichbeiten - man lebte vervielfältigt. Wenn auch Manches daran ranzig war, man konnte wenigstens einmal um sich schlagen, Blut schäumen, Stimmbänder schwingen lassen.

Heute morgen frug mich ein Bekannter, wann denn eigentlich die Schobermeß auf das Glacis verlegt worden sei. Da erinnerte ich mich seit langer Zeit zum ersten Male wieder, daß tatsächlich die Schobermeß vor langen Jahren hinter dem „Elli“ der Allee Scheffer, stattfand. Ich schlug nach und fand, daß die Übersiedelung 1891 stattgefunden haben muß. 1890 also hätten die Äcker hinter der Allee Scheffer zum letzten Mal die Messe beherbergt. Das müßte also damals gewesen sein, als Amberg gleich jenseits der Allee, rechts, sein Zelt aufgeschlagen hatte, mit lauschigen Kabinchen und Sabinchen - Sabinchen war ein Frauenzimmer (altes Volkslied) - und mit Tannen in Kübeln, die den Vorgarten mimten, und mit Zigeunermusik. Gleich nebenan war ein elektrisch geladenes Mädchen, gegenüber ein naturwissenschaftliches Museum mit wächsernen Scheußlichkeiten zum Anregen von Quartanerphantasien.

Nach uralten Gerechtsamen der Stadt mußten die Besitzer der Äcker hinter der Allee Scheffer zur Schobermeßzeit ihre Feldfrüchte abernten, ob sie reif waren oder nicht. Und dann ergriffen die Budenarchitekten von dem Terrain Besitz. Erst waren es noch rund emporgewölbte Ackerbreiten mit Stoppeln und Disteln und Winden und allem Kraut und Unkraut, das zwischen den Stoppeln gedeiht. Dann wurde es ein barbarisch zerstampftes, unebenes Erdreich, und regnete es einen Tag hinein, was bekanntlich während der Schobermeß keine Ausnahme ist, so entstand das Gebilde, das man in Luxemburg malerisch mit Bullibraaaiih bezeichnet.

Heute wächst da weder Korn noch Weizen mehr, Häuser bedecken das ganze frühere Schobermeßfeld, und mitten hindurch führt die Straße, die nach dem Stifter der Messe, Johann dem Blinden, benannt ist.

Alles vergeht, vielleicht vergeht auch einmal die Schobermeß. Aber aus jener alten Zeit herauf klingt immer ein Vers, den ein Sängerpaar, Gebrüder Semmler, jeden Abend über die Köpfe unzähliger Zuhörer hinweggröhlte, nach der Melodie der Türkischen Scharwache: „Das Geld und das Gold und das Wertpapier - Ist unseres Lebens Elixir.“

Bis jetzt hat es nicht den Anschein, als ob diese Wahrheit in absehbarer Zeit ebenfalls vergehen sollte.

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