Im Majestie spielte an jenem Abend das kleine Böres Orchester erst die Phantasie über „Kommt a Vogerl geflogen“ und dann «Boîte à joujou» von Debussy.
Zwei von der Gesellschaft an einem Ecktisch redeten Stadtchronik, zwei andere vertieften sich in die Musik. Der Herr sagte: „Ich wollte, es erfände einer einen Apparat, mit dem man die Musik in Farben, Linien und Punkten beweglich auf einen Lichtschirm projizieren könnte. Man sähe die Tonreihen wie farbige Schlangen sich empor und durcheinander winden, in brausendem Ansturm gen Himmel stoßen oder wie Bausteine sich zu Tempeln türmen und zerfallen und wieder sich zu neuen Gebilden fügen. Und die Farben verschmölzen sich zu süßen oder herben Akkorden, oder flössen in weißem Unisono wuchtig vorbei, oder stünden als Farbenlichtspektrum leuchtend auf dem Schirm - das alles zöge in leiser oder flüchtiger Bewegung und ewigem Wechsel, andante oder staccato vorüber, jedes Bild für das Auge wie für das Ohr durch den Ton geboren. Und wenn es auf dem Schirm dunkel würde, müßten die elektrischen Lichter im Saal wieder aufflammen und der Herr Dirigent und der Herr Feuerwerker würden sich nebeneinander dankend verneigen. Es wäre dann so, daß man ein Musikstück in Farben komponieren würde, wie heute die Tondichter ein Gedicht komponieren, es gäbe von der Mondscheinsonate soviel Farbenkompositionen, wie heute Tonkompositionen von beliebten Liedertexten. Und so weiter und so weiter.“
Die Dame sagte träumerisch: „Für mich ist das i rot, flammend rot. Es schreit, es trompetet, es gellt.“
Der Herr: „Für mich ist das i weiß und das o rot.“
Da machte die Dame ein Gesicht, wie wenn Sand zwischen ihren Zähnen knirschte, und schlug mit der Rechten einen kurzen Schlag vor sich in die Luft, wie um eine Schnale zu verscheuchen:
„Pfui brrr! Das o rot! Wie können Sie so was behaupten! Das o ist alles, was Sie wollen, nur nicht rot. Tot, jawohl. Es liegt flach am Boden wie ein toter grauer Maulwurf. Rot, feuerrot ist nur das i. Und das a ist schwarz, daran ist nicht zu tippen, und das u, das düstere, traurige u ist violett!“
„Falsch,“ sagte der Herr. „Das u ist blau! Und das e ist gelb, müssen Sie wissen. Und das ü ist grün. Machen Sie die Probe auf das Exempel. U und e gibt ü wie blau und gelb grün gibt.“
„Nein nein!“ wehrte sich verzweifelt die Dame. „U ist violett, daran laß ich mir nicht rühren. Und grün, das ist, was ich hier oben an der Nasenwurzel spüre, wenn mir an einem Augustmorgen die Sonne darauf scheint und in den Wiesen draußen Nebel ist.“
In diesem Augenblick wurde die andere Dame auf das Gespräch aufmerksam und mischte sich hinein. Sie sagte, für sie hätten auch die Zahlen Farben und Töne. „Die eins ist natürlich ein makellos weißer Strich, die graden mehrstelligen Zahlen sind Duralkorde, die ungraden Septimenakkorde. Die Million ist geraniumrot, die Billion sèvresblau, die Trillion violett. Dabei zittert und vibriert sie in einem fort, als ob sie trillerte.“
Das Orchester spielte die Humoreske von Dvorschak wunderschön und den Delila-Walzer, daß er einem wie ein Fondant auf der Zunge verging. Und dann ging die Gesellschaft nachhaus.
Ich habe bei „Spektrum“ nachgeschlagen. Die Dame mit dem roten i und dem violetten u hat unrecht. Das Rot hat die wenigsten Schwingungen, nur 364 Villionen, das Violett mehr als das Doppelte, 800 Billionen. Und da Schwingung Leben bedeutet, kann Violett nicht die Farbe des düsteren, traurigen u und Rot nicht die Farbe des gellenden, zappeligen i sein.