Original

22. Juli 1921

Sie sind mit mir überzeugt, nicht wahr, daß in Paris die schönsten, elegantesten, best angezogenen Frauen der ganzen Welt leben. Das ist ein Axiom, das wie Granit in der Zeit steht.

Wenn jemand nun Interesse daran hat, daß diese Überzeugug, dieses Axiom nicht ins Wanken gerät. so sollte er verbieten, daß überall in den Schaufenstern die Momentphotographien der Probiermamsells ausgestellt werden, die bei feierlichen Gelegenheiten, zumal bei den Schlußrennen in Longchamps die neuesten Schöpfungen der großen Pariser Damenschneider zur Schau tragen.

Diese Ärmsten sehen im grellen Sonnenlicht total verboten aus. Es liegt auf der Hand, daß sie unter den hübschesten, bestgewachsenen weiblichen Wesen ausgesucht sind. Denn um eine Dame auf ein Kleid, einen Mantel, einen Hut scharf zu machen, wird man Hut, Mantel und Kleid nicht an eine Vogelscheuche hängen. Die Momentphotographie aber macht aus diesen Mustern von Anmut und Eleganz plumpe, ungraziöse Erscheinungen, manchmal mit Gesichtern, die Pascin gezeichnet haben könnte, o beinig, Knöchel ohne Rasse, gedrungene Figuren ohne Linie, ein mühseliger Faltenwurf, eine Haltung ohne Geist und Adel, kurzum das Gegenteil von allem, was man sich unter der Pariserin vorstellt.

Es handelt sich um einen richtigen Verrat der Photographie an der Frau. Das ist von der Photographie direkt gemein, da sie der Frau soviel verdankt. Hier fängt sie Frauen, deren Beruf das Schönfein ist, ausgerechnet in einem Moment ein, wo sie am wenigsten schön sind.

Ich sehe von hier das triumphierende Lächeln der Berufsphotographen, die sagen: „Aha, merkt Ihr, was es zu bedeuten hat, wenn wir Euch bei der Aufnahme eine Stellung geben! Ihr wißt ja nicht, wie Ihr in jedem Moment ausseht. Es ist eine Kunst, das Bewußtsein seiner Glieder und ihrer Stellung zu haben. Ihr habt sie nicht, darum haben wir sie für Euch.“

Die Photographen haben recht. Es gibt Leute, die jenes Bewußtsein vom eigenen Ausschen in jeder Sekunde haben. Man findet sie unter denen, die oft photographiert zu werden pflegen. Sie suchen stets, sich dem Apparat in derselben Haltung darzubieten, einer Haltung, die sie als vorteilhaft ausprobiert haben.

Das kann man von den Damen von Longchamps nicht sagen. Sie stellen sich dem Photographen zumeist in Haltungen, die an Plumpheit nichts zu wünschen übrig lassen. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß alle diese jungen Mädchen sich über ihre Bilder gelb und grün ärgern, daß sie Muster von Grazie und Eleganz sind, sobald man sie in Bewegung sieht. Aber so im grellen Sonnenlicht, mit überscharfen Zügen, festgebannt in eine unvorteilhafte Stellung sind sie jeden Reizes bar.

Und nun komme ich zu einem alten Steckenpferd: Die Menschenphotographie der Zukunft wird nicht das tote Bild, sondern der lebendige Film sein. Ich bin überzeugt, in zehn Jahren wird sich niemand mehr photographieren, wird alle Welt sich filmen lassen. Denken Sie sich die Huldinnen von Longchamps in Bewegung, mit leise gewiegten Hüften, mit anmutig hingesetzten Füßchen, mit dem Wippen des seidenen Rocksaums um gratziöse Waden von klassischer Reinheit der Linten, oder denken Sie sich ein Liebes aus Familie oder Bekanntschaft, von dem Sie fünf Meter Film in der Schublade liegen haben: Sie können zu jeder Stunde den Tod oder den Raum besiegen und sich an Bewegung und Lächeln des geliebten Wesens freuen: Liegt es da nicht auf der Hand, daß jeder moderne Photograph sich so bald wie möglich die nötige Einrichtung anschaffen und seine Kunden nicht mehr knipsen, sondern drehen wird?

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    KatalognummerBW-AK-009-1969