Zu den Figuren, die im Dorf das stärkste Relief haben, gehört unstreitig der Müller.
Das ist schon daraus ersichtlich, daß der Müller nie mit seinem Familien-, sondern stets mit seinem Gattungsnamen genannt wird. Vom Schmied, Schreiner, Schuster und Schneider heißt es stets: der Tun, der Franz, der Pier, der Jampier - vom Müller nie anders, als eben der Müller.
Der Müller hält das ganze Dorf nebst Umgebung an der Hungerstrippe, daher der Respekt, den sie vor ihm haben. Mahlt er nicht, so können sie nicht backen.
Außerdem ist er der Mann, der über ein Haus voll Räderwerk gesetzt ist. Er ist nicht der erste Beste. Seine Mühle ist ein Unheimliches, in das von Außen eine dunkle Kraft hereingreift, um vom Erdgeschoß bis unters Dach den klappernden, schleisenden, rieselnden Organismus in Gang zu halten. Der Müller ist der Herr über das Schauerlichste, das es im Dorf gibt, das Wasserrad, das im Dunkeln sich umwälzt, an dem alles den Tod bedeutet, das Wasser, das verschlingt, und die Wucht der Schaufeln, die erdrückt. Und über dies scheußliche Fabeltier hat der Müller Gewalt, wie der Nagelschmied über seinen Hund, der im Rad läuft. Die Turbine ist noch viel unheimlicher, als das Rad.
Und der Müller ist Herr über das Wasser. Die andern dürfen darin ihre Windeln waschen und ihr Vieh tränken, der Müller aber darf das Wasser für sich arbeiten lassen. Ein Druck seiner Hand, und das Wasser legt sich für ihn in die Stränge, verdient ihm sein Geld, während er träumend auf den Säcken liegen darf oder mit den hübschen Kundinnen schäkern, die ihm das Korn für die nächste Backicht bringen.
Und über die Fische ist der Müller Herr. Der Müller war der erste, der Forellen fing und die Müllerin die erste, die sie in Butter buk. Daher der Name truite mcunière.
Die Unabhängigkeit des Müllers ist sprichwörtlich. Er ist in seinem Umkreis souverän. Ob gutes oder schlechtes Wetter, ihm ist alles gleich, die Leute müssen immer für Getreide sorgen, und das Getreide müssen sie immer bei ihm mahlen lassen. Und er braucht keine Konkurrenz zu fürchten, denn seine Gerechtsame schützen ihn davor. Schmiede und Schuster, Schreiner und Schneider können sich niederlassen, wo sie wollen, die Müller sind ans Wasser gebunden, und zwar an bestimmte Stellen am Wasser. Hat einer die belegt, so ist Schluß. Wo hat man je gesehen, daß in unserer Zeit noch eine Mühle gebaut wurde? Dampfmühlen, jawohl. Aber der Dampfmüller ist ein Wesen für sich. Er gehört nicht in dies Kapitel. Er ist ein Fabrikant. Er ist so wenig ein Müller wie ein Haufe Steinkohlen ein Wasserfall ist.
Für die Unabhängigkeit des Müllers haben wir ein klassisches Beispiel: die Geschichte von Sans-Souci. Da handelt es sich zwar nur um einen Windmüller, aber ein Wassermüller wäre dem großen Fritz noch ganz anders gekommen. Er hätte ihn womöglich in den Mühlteich geworfen und ihn erst wieder herausgezogen, nachdem sich Majestät hinreichend abgekühlt gehabt hätten.
In sämtlichen Anekdoten, in denen ein Müller und ein Pfarrer vorkommen - das ist die gewöhnliche Zusammenstellung - zieht der Pfarrer den Kürzeren. Darum ist auch der Müller sprichwörtlich unter den letzten, die an Ostern zur Beichte gehen. Er wird da vom Volksmund mit den Pferdedieben in einen Topf getan, aber mit Unrecht. Die Müller sind brave Leute, und wenn wir sie im Krieg nicht gehabt hätten, um die Dummheiten der Regierung gut zu machen, so hätten wir noch viel mehr Hunger leiden müssen.