Original

26. Juli 1921

„Wir sind nicht „sportif“,“ sagte der junge Mann.

„Was!“ begehrte ich auf. „Wir Luxemburger nicht sportif!“

„Nicht für fünf Pfennige!“

„Wo doch unsere Buben schon im Mutterleib Fußball spielen, wo unsere Damen beim Tennis kupfer- braun anlaufen, wo sich Pferderennen, Wettschwimmen. Radrennen in ununterbrochener Reihe folgen, wo unsere Sportsleute von Skilaufen und Regatten träumen, wo wir eine eigene Gesellschaft für Sportfischer haben, wo unser Nationalboxer Welter noch unbesiegt ist, wo wir die besten Kräfte zu den Olympischen Spielen stellen, wo unser Staatsbüdget Tausende für Sport auswirft .... und wir sollen nicht sportif sein!“

„Verstehen Sie mich recht. Es genügt nicht, daß einer Tennis spielt wie Fräulein Lenglen, boxt wie Dempsey, schwimmt wie Collarts Lull und reitet wie der Graf Sandor, damit er ein Sportsman sei. Sport ist vor allen Dingen international, wie die Kunst. Sportlich ist der, der imstande ist, eine Sportleistung rein nach sportlichem Maßstab zu werten, ohne Beimischung von Gefühlsmomenten egoistischer, chauvinistischer, nationalistischer, lokalpatriotischer, politischer Art. Können wir das? Nein! Erinnern Sie Sich gewisser Auftritte, wenn bei Fußballwettspielen eine auswärtige Mannschaft gesiegt hatte. Dann ging der Lokalpatriot mit dem Sportsman durch und pfiff und lärmte und war drauf und dran die fremden Sieger zu versohlen.

Wir brauchen uns übrigens nicht allzu sehr zu schämen, denn wir sind in guter Gesellschaft. Unsere belgischen und französischen Nachbarn sind ebenso wenig sportif wie wir. Erinnern Sie Sich, wie gehässig und verächtlich in französischen Sportblättern über Dempsey nach dessen Sieg über Carpentier geschrieben wurde? Da man ihn als Boxer mußte gelten lassen, posaunte man hämisch aus, er habe sich während des Krieges gedrückt, um boxen zu lernen, und da habe er es leicht gehabt, Carpentier niederzuschlagen, der im Krieg als Flieger seinen Mann gestanden habe. Jeder sportlich denkende Franzose wird sich dieser Entgleisungen schämen und sagen, das habe man ja alles vorher gewußt, und sobald Carpentier seinen Gegner würdig befunden habe, mit ihm die Faust zu kreuzen, sei es kindisch, diesen Gegner hinterher schlecht zu machen.

Sportif sind nur die Angelsachsen, die Engländer und Yankees, aus innerem Unabhängigkeits- und Stärkegefühl heraus, allenfalls noch die Deutschen aus Disziplin und Nachahmungstrieb. Ein Engländer ist imstand, einem fremden Mann und einem fremden Pferd zuzujubeln, wenn der Mann und das Pferd in ihren Leistungen besser waren, als die seines eigenen Landes. Ihm ist der Sport, wie die Kunst, wirklich international.“

„Nun wäre ich neugierig, was Sie von unsern Sportjägern und Sportfischern zu sagen haben.“

Der junge Mann warf einen Blick zum Fenster hinaus, knipste mit dem Nagel des kleinen Fingers die Asche von seiner Zigarette und sagte:

„Ich glaube, mit dem Regen wird es wiederum nichts.“

TAGS
  • Sport
KatalognummerBW-AK-009-1972