Es weht entschieden Ferienluft. Sie wissen, was ich meine. Es ist die Lust, die weht, wenn man an den Schaufenstern stehen bleibt, wo die hellbrannen Reisekoffer aufgestellt sind, wenn man nur einen Fahrplan in die Hand zu nehmen braucht, um sofort mit seinen Gedanken in der Geographie herumzufahren - es ist auch die Luft, die in dumpfen Schulzimmern steht, wo junge Menschenkinder zeigen sollen, ob sie ihren Lehrern die nötige Ehre und ihren Eltern die nötige Freude zu machen imstande sind. Die Ferienluft weht hierzuland allgemein gegen Ende Juli und Anfang August, und am stärksten weht sie auf dem lieben alten Knodlergarten, den sie immer hartnäckiger Wilhelmsplatz nennen wollen.
Der Knodlergarten ist unser größter Platz, und er streitet sich mit dem Paradeplatz um die Ehre, das Herz der Stadt zu sein. Ich halte es in jüngster Zeit mit dem Knodler, dem größeren Herzen. Zumal wenn der Mond im Südosten steht, über dem zackigen Turm der Nikolauskirche und der Silhouette des alten Jesuitennestes Athenäum. Während auf dem Paradeplatz eine Blechmusik tobt, sitzen sie hier still für sich vor den paar Cafés auf dem Trottoir und haben vor sich die ganze Stille des weiten Platzes, über den es diskret von Zwiebel- und andern Düften weht. Oder es ist um die Zeit, wo vor der historischen Treppe des Stadthauses ein paar Landauer - in neuerer Zeit auch Automobile - anfahren, wo drinnen der Herr Bürgermeister oder ein Schöffe sich rotweißblau umgürtet, um zweie fürs Leben aneinander zu ketten, wo Buben mit faustdicken Gummibällchen oder auch nur mit kleinen Steinchen Fußball spielen oder sich auf dem Rad nachjagen.
Aber die Ferienluft weht auf dem Knodlergarten am stärksten, wenn drunten die Schule aus ist und die ganze Bubenstufenleiter von Septima bis Prima die Treppe heraufmetert. Sonst, wenn ihnen die Pflicht im Nacken sitzt und die Sorge um die Prüfungsnoten an der Kehle, dann reden sie von Klassenangelegen- heiten und Aufgaben, fragen sich, ob sie ein participe passé männlich oder weiblich gemacht und was sie bei der Rechenaufgabe herausgefunden haben. Jetzt sind ihnen das stumme e und die Regel de Tri Hekuba, sie reden von Fahrrädern, von Zigaretten, von Mädchen gar. Und die ganze Unendlichkeit der Ferien tut sich vor ihnen auf, wie ein Tal der Wonne, in dem man nicht ans Ende sehen kann. Zwei Monate sind für sie eine Ewigkeit. In die Weihnachts- und auch noch in die Osterferien geht man schweren Herzens, weil sie so kurz sind, daß die übeln Folgen einer schlechten Zensur darin sich nicht verflüchtigen können. Aber der Katzenjammer einer schlechten Prüfung löst sich in dem Meer der langen Herbstferien auf, es ist daneben soviel Platz für allerhand freudige Überraschungen und Wendungen zum Bessern, daß keine Reue einem den Genuß dauernd vergällt.
Und dann liegen jetzt auf dem Knodlergarten die Frühbirnen, die immer so süß nach Ferien schmeckten. Jede Jahreszeit hat eine Frucht, die für sie charakteristisch ist. Aber kein Obst haucht einen so würzigen, wonnigen Zeitduft aus, wie die Frühbirnen. Man ißt sie nicht, man atmet sie ein, atmet mit ihnen die Ferienluft, die Erinnerung, den Mut zum Leben.