Noch einmal tobten die pfeifenden, rasselnden, heulenden, bellenden Granaten der Flack-Station vom Straßener Berg nachts über die Stadt, dann war es vorbei mit dem nächtlichen Schrecken. Fast drei Jahre lang. Und dann kam das Nachtgewitter. Zum ersten Mal seit drei Jahren weckte uns ein Toben, Dröhnen. Rauschen da draußen und in der Erinnerung an jenen Augustsonntag 1914, der auch in einem schweren Gewitter zur Neige ging, wurde alles Entsetzen der langen Kriegsjahre wach. Jenes Entsetzen, das über unsere Köpfe hinzog, das Furchtbare, das sich wie ein Wüten der Elemente anließ und weiter nichts war, als Menschenwitz, der sich in Zerstörung austobte.
In den Baumwipfeln hebt sich ein unwilliges Rauschen, und da ist es, als habe ein Kleines die Mutter zu Hilfe gerufen, das zornige Mutterrauschen kommt aus Südwest und fährt in die Bäume, über die Dörfer, um die Ecken, durch die Gärten und Straßen. Schiefer klappern auf die Erde, losgerissene Läden schlagen, Scheiben klirren, dürre Zweige knacken. Der Blitz hebt husch husch das Nachbarhaus mit plölichem Relief, aus dem Schwarz der Nacht in ein fahlviolettes Licht, das die jagenden Staubwolken weiß durchschimmert, und schon ist das jähe Bild verschwunden und dem geblendeten Auge ist die Nacht schwärzer, als zuvor. Noch ist es kein Rauscheregen, noch ist es nur der Sturm, der auf dem Haus und seinen Ritzen die höchsten und tiefsten Töne bläst, wie auf einm Occarino, im zartesten Anschwellen vom Piano bis zum ungestümen Fortissimo. Dann klatschen die ersten Tropfen an die eiligst geschlossenen Scheiben, aus dem Klatschen wird ein Trommeln, aus dem Trommeln ein helltöniges Brausen. Jetzt hat der Sturm seine Ruhe. „Laß jetzt mich nur machen!“ sagt der Regen. Und hartnäckig, leidenschaftlich saust er nieder, und gleicht dem Chauffeur. der auf grader Strecke mit aufeinander gebissenen Zähnen aus seinem Motor holt, was er geben kann, daß ihm die Luft wie Watte ans Gesicht drückt. Man kann das Fenster wieder öffnen und sich die nasse Massage über den Scheitel prasseln lassen. Jeder Blitz zersplittert jetzt in Millionen spiegelnder Flächen, auf dem vom Regen blank gefirnißten Dach, auf dem Schlangenrücken der sprudelnden Gosse, die die Straße in einen Bach verwandelt hat, auf den Millionen nasser, zuckender Blätter.
„Man ist nur noch ein Filtrierapparat,“ hatte ein paar Stunden vorher ein Herr gesagt, während er schwitzend ein Glas Mineralwasser an die Lippen setzte.
Jetzt war alle Qual der Hitze verflogen. Wonnig legte sich die reine Kühle um die Glieder und in die Seele. Es kann also doch noch regnen. Wir sind nicht endgiltig zum Eintrocknen verdammt.
Und früh morgens um Sonnenausgang durch den Park. Die Bäume strahlen. Der Sturm hat sie sozusaen entlaust. Hat sie von allem dürren Gezweig und Geäste befreit, das weithin die Wege und Pfade bedeckt. An den Wegrändern ist der Staub vom Wasser zu langgezogenen schlanken Strähnen gekämmt, die schon wieder am Eintrocknen sind. Bis abends sind sie wieder zu Staub zerfallen, im Himmelsblau schwimmen nur ein paar taschentuchgroße Wölkchen, die Sonne sticht, kaum daß sie über den Horizont herauf ist - aber es war doch eine halbe Stunde Labsal, eine halbe Stunde Erlösung.