Original

2. Oktober 1921

Es war noch viel interessanter, als ich es mir gedacht hatte.

Nämlich das Buch von Prosper Müllendorff: „Das Großherzogtum Luxemburg unter Wilhelm I. 1815 bis 1840 bis 1840.“ Luxemburg, Hofbuchdruckerei Viktor Bück, 1921. Historisch ist es hier schon nach Gebühr gewürdigt worden. Aber es ist mehr, als ein Geschichtswerk, es ist eine Chronik, die in keinem luxemburger Haus fehlen sollte.

Müllerdorff hat durch langen Aufenthalt im Ausland von den heimischen Dingen den Abstand gewonnen, der eine klare Übersicht ermöglicht.

Er hatte in seiner Jugend noch den Nachhall jener Zeiten vernommen, die er jetzt in seinem Buch mit köstlicher Anschaulichkeit festhält. Vieles aus der Landes- und Stadtgeschichte war ihm sogar Familientradition. Auf dem Leben um ihn lag noch der sanfte oder trübe Abglanz der Jahre, in denen sich die durch die Revolution und das Phänomen Rapoleon zerwälzten Massen wieder langsam ins Gleichgewicht senkten. Die Alten von dazumal seufzten in der Erinnerung noch über die holländische Mahl-, Schlachtn. Weinsteuer und erzählten abenteuerliche Schnippchen, die dem Fiskus geschlagen wurden. Sie wußten mit verzücktem Augenausschlag von schönen Frauen zu schwärmen, die auf Bällen glänzten, und mit Zähneknirschen von der Arroganz der fremden Offiziere Geschichten von abenteuerlichen Duellen, von den Tornaco’schen Getreuen, von Stifft und Hassenpflug gingen noch von Mund zu Mund, die belgische Zeit lag noch kein halbes Jahrhundert zurück, vor der Hauptwache standen noch die Bundeskanonen, vor denen runde Vollkugeln zu Pyramiden getürmt lagen, wie die Knödel vor einem hungrigen Gast.

Aber das folgende Geschlecht fand den Widerhall dieser bewegten Zeiten nicht mehr vor, ihm waren sie nüchterne Geschichte, aus Daten und Urkunden gemacht.

Und doch war dies Vierteljahrhundert, das Prosper Müllendorff schildert, das bewegteste und interessanteste unserer Geschichte. In ihm drängte sich all das Gewaltsame, Unsichere, Große und Kleine zusammen, aus dem die Grundlage unseres völkischen Bestandes sich zusammengeschweißt hat. Die Kenntnis dieses Zeitabschnittes ermoglicht uns die Analyse der Zustände von heute.

Dies Buch, wie das von Ries, mußte heute geschrieben werden, und auch hier ist es von dem geschrieben, der dazu die höchste Eignung besaß. Prosper Müllendorff ist ein lebendiger Behälter der Überlieferung. Sein unheimliches Gedachtnis, sein unbändiger Forscher- und Koordinationstrieb, seine schriftstellerischen Erfahrungen, sein lebhafter Stil, der vom Journalismus grade die besten Eigenschaften herübernimmt, hervorragende Beobachtungsund Assimilationsgabe, Sinn für das Anekdotische, insofern es die Geschichte illustriert - das alles macht ihn zum geborenen Chronisten.

Deshalb liest sich das Buch, das als strenges Quellenwerk unbedingt wissenschaftlich zu werten ist, wie eine Arbeit, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ereignissen entstanden ist. Es gibt ein ebenso farbiges, wie getreues Bild der Zeit, es ist für den Luxemburger eine Art Bibel, in der er jederzeit mit Nutzen das eine oder andere Kapitel wieder nachlesen wird und das für die Jungen gradezu ein geschichtliches Schatzkästlein ist.

Und besonders in unsern Tagen bringt das Buch dem Leser die seltsamsten Überraschungen; die ihm die Worte Ben Akibas entlocken. Manches, was damals war, gleicht dem, was heute ist, wie ein Ei dem andern. Nie hat sich die Vergangenheit für die Zukunft so lehrreich erwiesen, wie hier.

Und nicht zum wenigsten müssen wir dem Verfasser es danken, daß er am Schluß seines Werkes zu der Losung gelangt: Luxemburg den Luxemburgern! Wenn sich diese Lehre für ihn aus einer Zeit ergibt, die der heutigen in manchem Wesentlichen aufs Haar glich, so wäre es heute Torheit, wenn nicht Verrat, die Lehren der Vergangenheit in den Wind zu schlagen.

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  • history book on Luxembourg
KatalognummerBW-AK-009-1979