„Und warum hast du das Menschenmalen aufgegeben und dich ganz dem Tierreich zugewandt?“ fragte ich Gust Tremout, der in der Ausstellung im Cercle mit Löwen, Tigern und Panthern glänzt.
„O v’rreck!“ sagte er. „Menschen malen! Lieber wäre ich Tapezierer und Anstreicher geworden. Man konnte einen so herrlich malen, wie man wollte, aus dem häßlichsten und dümmsten Kerl einen Adonis und Picus von Mirandola machen, er rümpfte die Nase und sagte, es sei ja im Ganzen nicht übel, aber es, gehe doch nichts über die Photographie. Anstatt meine Löwen und Tiger, die sehen sich ihre Bilder an, wie Kenner und Philosophen, und noch keinem von ihnen ist es eingefallen, sich über Unähnlichkeit zu beklagen oder an meiner Kunst zu zweifeln!
Und außerdem, fuhr Gust fort, ich male jetzt Tiere, weil man die nackig malen darf, ohne als Pornograph mit dem Pinsel verschrieen zu werden. Die prüdeste alte Jungfer, die über den Reichsadler auf einer Mannesbrust Schreie des Entsetzens ausstoßen würde, hängt sich ruhig das Bild eines flirtenden Löwenpaares im Paradieskostüm in ihre gute Stube. Und weil ich es müde war, Kleiderstoffe zu malen, aus denen da und dort ein paar Zoll Haut herausgucken, weil ich Geschmeidigkeit, paradiesische Ursprünglichkeit und Unverhülltheit in ihren unsäglich schönen Linien malen wollte, und weil nackte Menschen von den Frommen perhorrestziert werden, außerdem als Modelle zu teuer sind, deshalb male ich heute Tiere.
Am liebsten wilde Tiere. Sie sind schön aus Notwendigkeit. Ihre Schönheit ist das äußere Zeichen ihrer inneren Gnade, die Kraft ist. Ohne Kraft keine Schönheit, Und da sie stark sein müssen, um leben zu können, sind sie alle schön.
Alle gleich und alle gleich schön. Haustiere können schön sein, aber die Arbeit, die Zweckmäßigkeit, wie sie der Mensch versteht, hat sie verbildet, den Typ zerrissen. Der wilde Mustang ist „das“ Pferd, auf dem Bauernhof ist immer nur „ein“ Pferd zu sehen. Im wilden Tier ist die Urschönheit erhalten. Im Dienst des Menschen muß die Urschönheit der Schöpfung vor seinen Zwecken sich verkrümeln. Er zieht und bildet und züchtet daran herum, bis der Schöpfer seine Geschöpfe nicht mehr erkennt. Ein Dackel ist ihm ein Hund und ein Bernhardiner ist ihm auch ein Hund. Aber Löwe ist Löwe und Tiger ist Tiger. Und wie er an den Tieren herumstümpert, so stümpert der Mensch an sich selbst herum. Und hat es fertig gebracht, daß es nicht eine, sondern hunderttausend Formen des Menschenkörpers gibt, dicke und dünne, große und kleine, schlanke und plumpe. Die Tierwelt im Freien steht unter dem Gesetz der einen und unveränderten Schönheit. Dem Löwen fällt es nicht ein, sich die Mähne abrasieren oder den Schwanz stutzen zu lassen, je nachdem er in Asien oder Afrika zuhause ist, seine Frau vergrämt sich ihren Gesichtsausdruck nicht durch nächtelanges Grübeln über die Hutfrage oder die Verlobung einer Nachbarstochter. Keine Arbeit, keine Toilette, keine Sorgen haben auf die freie Entwicklung dieser Wesen Einfluß.
Nur im Gesicht sind sie verschieden. Ich kenne meine Modelle auseinander, wie den Peter und den Paul, die Mimy und die Lily. Denn diese großen Katzen haben auch Seelen, die ihre Gesichter bilden. Und ich bin überzeugt, sie können auch reden, sie wollen nur nicht. Das Gebraddel ist ihnen zu dumm.“
Soweit mein Freund Gust.
Ich hätte manchmal nicht übel Lust, auch Tiermaler zu werden.