Original

6. Oktober 1921

Wenn Sie einmal ein Stündchen lang nichts zu tun haben, gehen Sie an dem Neubau der „Arbed“ vorüber spazieren. Am liebsten an der Hinterseite her, wo das Ganze noch riesenhafter wirkt, als in der Front, weil man näher herankommt und weil die Quadermauer, die den Hofraum nach der Petrußseite abschließt, mit ihrer stummen, vornehm abweisenden, undurchbrochenen Fläche den Beschauer überragt, wie ein Hüne von Schloßportier, der unerbittlich im Tor steht und keinen durchläßt, der nicht geladen ist.

Seit die erste Spitzhacke zum Ausheben der Fundamente in die Erde des alten Festungsgeländes auf dem Bourbonplateau biß, ist dieser Bau eine Angelegenheit, die jeder ein wenig als die seinige ansteht. Der wirtschaftliche Riesenkörper, der sich hier sazusagen einen Behälter, einen Schädel für sein Hirn baut, ist ein großes, das größte Glied unserer nationalen Wirtschaft überhaupt. Jeder fühlt sich mit ihm ein wenig solidarisch, ein wenig von ihm abhängig. Und jeder sieht es als eine Art Ehrensache an, daß der Bau des Bauherrn würdig werde.

Eine Zeitlang ging es gut. Die Ausmaße schienen den Leuten adäquat. Man blieb vor den Mauern stehen, die das Arbeiterheer Giorgetti stetig in die Höhe trieb und stellte sich mit O Mamm! und Donnerwetter vor, was das für ein Riesenkasten würde, wenn er einmal fertig wäre. Aber dann ging das Oh! der Enttäuschung durch die öffentliche Meinung, als über dem ersten Stock gleich der schwere Steinsims des Daches um den Bau zu laufen begann. Die Kenner - und wer war es nicht? - sprachen von erdrückt und plump, andere vermuteten, man mache einstweilen Schluß, um später bei Bedarf ein Stockwerk oder zwei draufzusetzen.

Beide Meinungen erwiesen sich als irrig. Die Absicht des Höherbauens ist dadurch ausgeschlossen, daß das ganze Dach aus Eisenbeton hergestellt ist. Die Kenner aber sind Lügen gestraft durch die edle Harmonie der Verhältnisse, die sich nach der Vollendung im Rohbau schon jetzt herausstellt. Der Akkord, der in der Schwebe war, ist aufgelöst.

Dieses Verwaltungsgebäude der „Arbed“ ist ein Baudenkmal ganz eigener Art. Es ist der Mühe wert, daß man sich darüber klar werde. Es ist reich an einer schönen Symbolik. Wir hatten bisher wohl nur zwei Gebäude größeren Stils, die einem mehr oder weniger öffentlichen Zweck dienen und für diesen von Anbeginn eigens erbaut waren: das Pescatorestift und den Neuen Cercle. Beide sind schön und zweckmäßig. Der Arbed-Bau ist schön, sicher auch zweckmäßig, aber außerdem ist er mehr. Er ist von einer eindringlichen, wenn auch edeln und gehaltenen Beredsamkeit. Was ja bei toten Dingen Symbolik heißt.

Er wirkt zunächst wie eine Ablehnung der überheizten amerikanischen Geschäftsgier, die sich in dem Himmelkratzertum der Großstädte von drüben ausdrückt. In dreißigstöckigen architektonischen Mißgeburten treibt sich das Busineß in die Höhe, mit dem Dröhnen, Stampfen, Heulen, Zischen, Bellen, Kreischen, Klopfen, Gellen, Brummen, Sausen eines Gebräues aus Mensch und Maschine schäumt es durch die Straßen, die wie Gebirgsklamme von der Sonne weg in die Tiefe sinken, in scharfer Kurve lenkt es um die Ecken, an denen Ehrlichkeit u. Anstand dicht am Strafgesetzbuch abbrechen.

Der Arbed-Bau ist das Gegenteil, die Verneinung, die Ablehnung des Wolkenkratzertums. Er ist nicht aus abenteuerlichen Goldgräberpraktiken, aus Cowboy-Vergangenheiten, aus Wagnis und Gewalttätigkeit in Treibhausluft gewachsen. Er liegt breit, gediegen im Kleinsten, unerschütterlich, aus langer, zäher, vorsichtiger Arbeit langsam gediehen, für die Ewigkeit berechnet. Und er will nicht nur nach Busineß aussehen, er will auch der Schönheit ein Recht auf die Arbeit lassen. Er ist solid und kostbar. Er hat Rasse, er hat Tradition. Seine Tradition ist Herren-Tradition. Er ist ein wuchtiges Denkmal der langen Zusammenarbeit zwischen Führern u. Massen. Er ist das beredte Sinnbild der Schöpfung die in den Anfangsbuchstaben ihrer Teikorganismen durch eine geistvolle Laune des Zufalls dem bedeutungsvollen Zauberwort „Arbeit“ so nahe gerückt ist.

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    Katalognummer BW-AK-009-1982