Original

14. Oktober 1921

Das Autofahren galt und gilt vielleicht noch als ein Privileg der Millionäre und Schieber. Schon das Wort Auto rief als Ergänzung das andere Wort Luxus auf die Bildfläche.

Das ist heute schon sehr viel anders geworden, und es muß noch sehr viel mehr anders werden.

Es muß die Zeit kommen, wo ein ländlich schändlich aussehender Wagen neben der vor Lack strahlenden 40 H.P. nicht mehr das Lachen herausfordert. So wenig, wie heute jemand lacht, wenn er einen alten Bauern-Scharbang neben einer Hofequipage mit feurigem Juckerpaar sieht.

Louis Forest predigt in der Illustration für die Verbreitung der kleineren Wagen, die allein die Verallgemeinerung des Autos herbeiführen können. Er schildert es äußerst verlockend, wie er seit Jahren mit seinem Wägelchen Frankreich entdeckt. Er nennt es Sam Suffi. Wie schade, sagt er, daß unsere Literaten nicht für das bescheidene Auto schwärmen, das die galonierten Chauffeure mit dem Rücken ansehen. Sie könnten sich damit ihre Phantasie in wunderbarer Weise auffrischen. Der kleine Wagen ist der Wagen des Dichters!

Da ich zum Millionär und Schieber kein Talent habe und es also nie zu einem Wagen mit zahlreichen Pferdekräften bringen werde, müßte ich demnach auf dem Wege der Dichtung nach einem kleinen trachten. Es wird schwer halten. Hier sitzt schon auf jedem Gipfel einer mit einer Leier, und noch keiner hat es bis zum allermindesten Auto gebracht. Aber Louis Forest hat trotzdem recht. Dem kleinen Wagen gehört die Zukunft.

Der schönste Sieg, den die Menschheit bis jetzt in ihrem Ringen nach vorwärts zu verzeichnen hat, ist der Sieg über den Raum. Wir haben uns heute derart daran gewöhnt, ohne den Raum zu rechnen, daß wir Selbstmordgedanken bekämen, wenn es darin von heute auf morgen plötzlich wieder beim alten wäre, wenn wir nicht in einer Minute nach Wltz telephonieren, in einer halben Stunde nach Grevenmacher fahren könnten. Ohne von Paris, Brüssel, London, Wien, Amerika usw. zu reden.

Diese Errungenschaft muß Gemeingut werden. Und sie wird es, früh oder spät, trotz der Prohibitivsteuer, mit der Herr Neyens das Autofahren eindämmen und wieder zu einem Vorrecht der Allerreichsten machen will. Nach dem Krieg war es auffallend, sagt Louis Forest in dem oben angeführten Artikel, wie sich die Fabrikanten unisono darauf warfen, nur Luxuswagen für Milliardäre zu bauen. Das war unsinnig, da es mehr Automobilfabriken als Milliardäre in Frankreich gibt. Und, hätte er hinzufügen können, da die Möglichkeit der schnellen Fortbewegung, der Unterjochung des Naumes, nicht etwas ist, das sich zur Monopolisierung für Milliardäre eigner. Es ist wie die Luft, wie das Wasser, es ist wie das Licht der Augen, denn es ist eine Besitzergreifung der Welt, bei der Tausende denselben Besitz ergreifen können, ohne sich gegenseitig zu behindern. Wenn man es richtig betrachtet, ist außer dem Fortschritt, der in der Erleichterung und Beschluenigung der Fortbewegung erzielt ist, aus den letzten Jahrzehnten wenig aufzuweisen, was von durchgreifender und allgemeiner Bedeutung für die Menschheit wäre. In pesitivem Sinne wenigstens. Negativ hat man ja die Möglichkeitsgrenzen des Tötens und Vernichtens so weit hinaus gerückt, daß sie so gut wie gar nicht mehr vorhanden sind.

Also das - um es volkstümlich auszudrücken - das Herumkutschieren in der Geographie muß Gemeingut werden. In fünfzig Jahren, was sage ich! in zwanzig, in zehn Jahren muß der kleine Wagen, der Sam Suffi, so häufig sein, wie heute das Fahrrad. Dann brauchen wir nicht einmal mehr die schwerfälligen, schienengebundenen Dampf- und Trambahnen, um unser Zelt irgendwo draußen im Grünen aufzuschlagen.

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    Katalognummer BW-AK-009-1989