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16. Oktober 1921

Zahlreiche Leser bestätigen mir, daß die Verbilligung des Autos eine Forderung des Tages ist. Ein Bekannter teilte mir freudestrahlend mit, er habe sich ein Wägelchen bestellt, das höchstens 2500 bis 3000 Fr. zu stehen komme: Einfache Korbsitze, aber vorzüglicher Motor. Zwei Plätze. Was man braucht, um früh morgens zum Fischen zu fahren und unabhängig von der Eisenbahn zu sein.

Ein anderer schickt mir eine Zeitungsmeldung über den Motorroller, den die Friedr. Krupp Aktiengesellschaft in Essen auf den Markt gebracht hat.

Damit ist die Individualisierung der raschen Fortbewegung auf die Spitze getrieben.

Schon den Alten war es ein Ideal, daß der Einzelne in der Fortbewegung mit dem Vogel wetteifern könnte. Darum erschuf ihre Phantasie dem Gott des Handels Flügel an die Füße. Daß es grade der Gott des Handels war, dem sie die Fähigkeit zum Länderüberfliegen andichteten, beweist, daß sie kaufmännisch veranlagt waren und genau wußten, worauf es beim Geschäft ankommt.

Die Alten erfanden nicht einen Mythos, in dem der Massentransport für Menschen vorgeahnt gewesen wäre. Sie hielten sich an das Fliegenkönnen für den Einzelnen. Das Jahrhundert des Dampfes hat aus dem einen Merkur Tausende und Millionen gemacht, die gemeinsam dem Geschäft nachlagen können. Aber die Sehnsucht nach Loslösung von der Masse, nach freier Wahl von Weg und Stunde, ruhte nicht, bis das Fahrrad erfunden war. Von diesem ging der Weg wieder aufwärts zum Automobil, und jetzt erfüllen die Erfinder nochmals den Wunsch nach Beflügelung für das Einzelindividuum, indem sie uns den Motorroller, den Motorschuh, den Motorläufer bescheren. In Amerika hat sich das neue Nutzfahrzeug schon eingebürgert, in England und Frankreich tritt es im Straßenbild auch bereits in die Erscheinung, in Deutschland beginnt es als Krupp’scher Motorroller die Gunst des speziellen Publikums zu erobern, für das es bestimmt ist. Dieser moderne Merkurflügel hat „eine Lenkung wie beim Fahrrad, niedrig liegende Plattform zwischen den kleinen luftbereiften Rädern, wobei die Plattform einen wesentlichen Teil des Rahmens bildet. Auf dieser Plattform steht der Fahrer, der sich bequem gegen die Sattelstütze anlehnt; für weitere Strecken setzt er sich auf den Sattel wie beim Fahrrad. In den belebten Straßen wird die stehende Haltung, die eine gute Übersicht über die Straßen bietet und dem Fahrer ein Gefühl der Sicherheit verleiht, wohl die Regel sein. Der Motorroller hat Vorderradantrieb; der kleine luftgekühlte Einzylindermotor auf der linken Seite des Vorderrades leistet 1.75 PS. und gieht das Fahrzeug mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometer in der Stunde auf ebener Straße. Bemerkenswert einfach ist die Bedienung und Steuerung. An- und Abkuppeln des Motors geschieht durch Vor- und Zurücklegen der Lenkstange. Wenn dem Fahrer ein Hindernis entgegentritt, so erfolgt ja unwillkürlich ein Zurückziehen der Lenkstange, sodaß sofort zunächst der Motor abgekuppelt, während heim weiteren Zurücklegen der Lenkstange das Fahrzeug gebremst wird. Die Regelung der Geschwindigkeit erfolgt durch Drehen eines Handgriffes der Lenkstange. Schließlich entspricht das Fahrzeug auch der Forderung nach leichter Unterbringung in Wohnräumen, da einmal sein Raumbedarf gering ist und dann das Gewicht ein Tragen ermöglicht. Dazu kann die Lenkstange ganz umgelegt und hinten am Nahmen befestigt werden, sodaß sie als Traggriff dient.“

Ein verbessertes Modell kommt, wie mir mein Gewährsmann mitteilt, Januar 1922 in den Handel und wird ungefähr 10 000 deutsche Mark kosten. Die Vertretung hat ein hiesiger Ingenieur, den wir hoffentlich in den nächsten Tagen auf diesem neuen Stellvertreter des Hafermotors werden einherflitzen sehen.

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    Katalognummer BW-AK-009-1991