Die Zeitungen brachten dieser Tage die Meldung von der glücklichen Heimkehr unseres Landsmannes Herrn Dr. Michel Lucius und seiner Gattin aus dem Hexenkessel Sowjetrußlands.
Über Rußland wußte man bis vor einiger Zeit nichts so bestimmt, wie daß man nichts Bestimmtes wußte. Wenn Herr Lucius reden will, so wird er manches Zuverlässige sagen können. Er ist ein ehrlicher und gescheiter Tatsachenmensch, dem Schönoder Schwarzfärberei nach der einen oder andern Seite fern liegt. Dabei kennt er die russischen Verhältnisse aus seinem neunjährigen Umgang mit dem Volk, Arbeitern wie Bauern, und aus den Erfahrungen, die er persönlich mit dem bolschewistischen Regime gemacht hat.
Ob er reden, und zumal ob er alles sagen wird, was er weiß? Indes genügen schon die wenigen Andeutungen, die er im Privatgespräch Freunden gegenüber machte, um zu bestätigen, was in jüngster Zeit aus andern Quellen über Sowjet außland bekannt wurde.
Zu den lesenswertesten Büchern, die über die russische Revolution und die Schreckensherrschaft Lenins und Trotzkys in den letzten Monaten erschienen sind, gehört «L’Apocalypse russe» von Serge de Chessin. Es reicht von 1918 bis September 1921, schildert die Gräuel der Revolution, die Organisation und Betätigung der kommunistischen Herrschaft, die Zustände, wie sie sich unter dieser Herrschaft entwickelt haben, mit packender Anschaulichkeit und offenbar eingehender Sachkenntnis. Eine Hauptthesis des Verfassers geht darauf hinaus, die russische Revolution zu einem großen Teil als das Werk Deutschlands darzustellen, das sich der also entfesselten Kräfte als Revanchewerkzeug zumal gegen Frankreich bedienen wolle. Er nennt den Bolschewismus „die russische Mißgeburt einer deutschen Utopie“. Besonders interessant für außer-russische, auch luxemburgische Leser, sind die Angaben des Verfassers über die Mittel und die Methoden, die der internationalen bolschewistischen Propaganda dienen. „Van dem Tage an, wo er zur Macht gelangt war, unterhielt Lenin einen kleinen internationalen Hofstaat. Sozialisten, verknechtet nach dem Vorbild von allerhand Günstlingen, die um den russischen Thron herum Gastfreundschaft genossen. Nach Moskau verirrte Kommunisten, wie Sadoul und Pascal, authentische frühere Kameraden, wie Manner und Kussen; Leute, die aus guten Gründen flüchtig wurden, wie Gutebeaux; alle erhalten fette Pensionen, revolutionäre Präbenden und Ehrentitel. Dafür werden die Wahnsinnigen des roten Kremlin in sogenannte ausländische Sektionen verteilt, die der Zentralausschuß der bolschewistischen Partei sich angebiedert.“
Fesselnd ist die Art, wie der Verfasser den durch die Revolution herausgebildeten Geisteszustand des russischen Volkes und seiner Herrscher beschreibt. Ein bis zum Wahnsinn gesteigerter religiöser Mysticismus, der bei den Gebietern der Stunde in asiatische Grausamkeit umschlägt und kalten Blutes Taten begeht, wie sie die überspannteste Phantasie eines Sadisten nicht grauenhafter aushecken könnte.
Auf die Unfähigkeit der bolschewistischen Regierung wirft das Buch grelle Streiflichter. Es bringt u. a. die Hungersnot in ursächlichen Zusammenhang mit dem kommunistischen Regime. Aller früheren Hungersnöte wußte der Staat Herr zu werden, heute liegen drei Fünftel des Ackerlandes brach. zwei Fünftel bringen nur kümmerlichen Ertrag. In Erwartung der dritten Revolution übt der Bauer mit methodischer Grausamkeit die einzige Rache, die ihm bisher möglich war: die Ausrottung des Kommunismus durch die Hungersnot ... Fünfundvierzig Monate Barbarei haben Rußland unrettbar dem Sabbat der Hungersnot und Pest ausgeliefert ... Petrograd, Moskau, alle großen Städte versinken in dem Schlamm ihrer Latrinen. Die „Note Zeitung“ gesteht ein, daß die Sowjets unfähig sind, die Latrinen zu reinigen und die Kanalisation auszubessern ...
Gegen den Mangel an Brotgetreide und Arzneien gibt es nur zwei Mittel: „Aberglaube beim Volk, Terror bei den Sowjets.“ Die Bauern errichten sich hölzerne Götzen, denen sie Schafe opfern, andere, die logischer verfahren, schlagen die Kommunisten tot, die Kommunisten antworten mit Maschinengewehren. Das rote Paradies!
Man muß auch solche Stimmen über Rußland hören, um diejenigen, die Europa mit diesem roten Paradies beglücken wollen, nach ihrem richtigen Wert einzuschätzen.