Sehr geehrter Herr Redakteur! Wollen Sie die folgende einfache Geschichte nicht in Ihrem Blatt veröffentlichen? Zu meiner Erleichterung. Ich mußte sie mir vom Leib schreiben, aber damit wäre wenig erreicht, wenn ich sie nicht gedruckt sähe.
Man könnte sie „Die Perle“ überschreiben.
Seit drei Monaten war ich ohne Mädchen. Die Letzte hatte gestohlen, wie ein Kolkrabe, die vorletzte war so dreckig, daß sie klebte, die vorvorletzte schaffte sich allnächtlich ihren Bettschatz in die Kammer. Er trug Ledergamaschen, maulwurfsarbens Samtbreeches, eine amerikanische Soldatenjoppe und die Mütze schief übers rechte Ohr gezogen. Morgens roch das Treppenhaus nach seinen Zigaretten. Jetzt sitzt er grade wegen eines Kellerdiebstahls im Grund.
Ich hatte es schließlich aufgegeben und half mir so. Ich hatte sogar allmählich Spaß an der ganzen Hausarbeit bekommen. Ich las grade von Wells die Geschichte von dem englischen Ehepaar, das, um sich von der Kultur zu kuvieren, in die Einsamkeiten Labradors geflüchtet war und dort das Leben von seinem primitiosten Ende wieder anfing. Ich begann schon überm Bettemachen und Kochen zu singen. Und dann: Am Ende des Monats die Ersparnis! Damit war es nun merkwürdigerweise nichts, ich weiß wirklich nicht, wieso und warum.
Na also, drei Monate hatte dies Pien-Leben gedauert, als eines Tages die Schelle am Gartentor ging und ein Mädchen davor stand, das frug, ob ich die Frau Soundso sei, es hätte gehört, ich suchte ein Dienstmädchen. Es war die Perle, Sie haben es erraten. Ich ließ sie hereinkommen und nahm sie in ein Kreuzverhör. Sie war von einer blonden Gottergebenheit, ihre Augen hingen an meinen Lippen, wie die eines treuen Jagdhundes. Sie schluchzte vor Glück, daß sie endlich in ein ordentliches Haus käme, die Stellenwermittlerinnen hätten immer gesagt, in Familien seien für Mädchen keine Stellen frei, darum sei sie anhaltend in Wirtslokale gestopft worden, aber noch ein paar Tagen immer entsetzt geflohen. Man habe ihr Dinge zugemutet, oh, oh, Madame! Aber jetzt danke sie ihrem Schöpfer, der sie in mein Haus geführt habe. Nein, wenn sie bedenke, daß sie alle die Zeit über schon diese Stelle gehabt haben könnte! Und wie sich in T@r ihr armes Mütterlein freuen werde! Grade jetzt, wo sie bei dem tiefen Stand der Valuta das Zehnfache ihres Lohes in Mark machen könnte!
Als mein Mann nachhause kam und von den Perls hörte, umarmte er mich gerührt, wir drückten uns innig die Hände und er sagte: Siehst du, Hedwig, der alte Gott lebt noch!
Er fand auch, daß die Perle einen guten Eindruck machte. Sie strählte das Haar dicht und glatt an den Kopf und machte auch sonst keinen Versuch, verführerisch auszusehen. Und arbeiten tat sie, wie nie eine zuvor. Ich sah mit Spannung dem ersten Sonntag entgegen. Als ich sie frug, wie sie es mit ihrem freien Nachmittag halten und wann sie wieder zuhaus sein wollte, wies sie es sanft entrüstet weit von sich, überhaupt auszugehen, und setzte sich mit ihrem Nähtzeug in die Küche. Ich ertappte mich alle halben Stunden auf einer innerlichen Jubelhymns auf meine Perle, nicht ohne mit dem Finger von unten an den Tischrand zu tippen und „unberufen“ dabei zu sagen.
Montags schickte ich die Perle zum Krämer um ein Päckchen Streichholz. Ich gab ihr einen 125-Frankenschein zum wechseln. Dann ging ich zu einer Freundin auf ein Plauderstündchen. Ich machte ihr alle Zähne nach meiner Perle wässern, denn sie hatte auch seit sechs Wochen kein Mädchen mehr.
Auf dem Heimweg dachte ich, was uns die Perle wohl für eine Überraschung auf den Abend bereitet hätte. Sie wollte nämlich, hatte sie gesagt, ein Gericht ihrer Spezialität kochen.
Zuhause fand ich alle Türen offen. Die Perle war ausgerückt. Was sie von den 125 Franken auf das Päckchen Streichholz herausbekommen hatte, das hatte sie sich als Lohn für die vier Tage in meinem Dienst zugesprochen. In ihre heimische Währung umgerechnet waren es über tausend Mark. Wie wird sich Mütterchen gefreut haben. Ich habe Mütterchen im Verdacht, daß sie Max oder Lude heißt.
Mein Mann meint, ich könne von Glück sagen, daß es nicht mehr war. Dabei hatte sie doch auch auf ihn einen guten Gindruck gemacht!
Es war meine letzte Perle.
Mit vorzüglicher Hochachtung!
Hedwig Nettches, Hausfrau.
P.S. - Um das Geld würde ich mich noch nicht so sehr kränken, aber daß ich diese Person bei meiner Freundin herausstrich in derselben Minute, wo sie mir wahrscheinlich eine lange Nase machte, davon könnte ich die Gelbsucht kriegen. D. O.