Ich fragte mich heute neugierig, was ich wohl vor drei Jahren, am 25. Oktober 1918, als sich die Kriegsapotheose in letzten Explosionen austobte, als wir hier tagtäglich und allnächtlich vor den Fliegerbemben zitterten. als niemand wußte, wie das Riesenmorden endigen würde und ob wir nicht auch noch daran glauben müßten - was ich damals wohl hier aus der Stimmung der Zeit und meiner Seele heraus destilliert haben mochte. Ich blätterte in der Zeitung nach und fand das folgende Friedensidyll:
„Im Garten eines Freundes habe ich mir einen Strauß Rosen geschnitten. Jetzt stehen sie vor mir in der beglänzten Glaskugel und die Stiele haben in dem blanken Wasser feine silberne Lustbläschen angesetzt.
Es ist eine schneeweiße dabei mit zartgrünen Reflexen in den Tiefen ihres vielgewundenen Schoßes. Eine üppige schlante Carlone Testout, die Fortsetzerin der La France. Eine leidenschaftlich karminrote, und eine gelbe. Diese hat die Farbe der Wangen eines schwarzbraunen Mädchens, und tief zwischen den Blättern ist sie so zartbraun, wie dasselbe Mädchen um die Augen herum.
Das sind meine letzten Rosen. Ich weiß mich zu bescheiden. Sind diese verblüht, so verzichte ich. Es wäre leicht, draußen in wohl gepflegten Gärten immer noch jeden Tag ein paar herrliche Rosen zu brechen. Aber einmal muß Schluß gemacht werden. Einmal muß man den Gedanken von den letzten Rosen zu Ende denken.
Und diese sind schön. Schöner, möchte ich sagen, als die schönsten des Sommers. Denn sie sind seltener und kostbarer. Sie wissen, was sie sind und was sie von sich halten dürfen. So exquisit un de race. Wie ost am Ende einer Ahnenreihe das alte Blut noch einmal in herrlichen Menschen aufschäumt.
Ihr meine lieben letzten Rosen! Eigentlich könnt Ihr mir dankbar sein, daß ich Euch abgeschnitten und auf meinen Tisch gestellt habe. Sonst würdet Ihr draußen unterm offenen Himmel gestorben und verderben. Vom Frost tatgebissen, von den Winden entblättert, auf der kalten Erde vermodert. Hier sterbt Ihr in Schönheit, und wenn Ihr tot seid, begrabe ich Euch in meinen Papierkorb. Wieviel ungeahnt Wertvolles ist schon in Papierkörben begraben worden!
Seid froh, meine lieben letzten Rosen, daß Ihr nicht bis zum Schluß bleiben mußtet. Eine Hauptsache im Leben ist es, daß man zu gehen weiß, wenn es dazu Zeit ist. Immer werde ich mich erinnern, daß Goethe einmal von Frau von Staël gesagt hat: Sie ist sonst sehr nett, aber sie weiß nicht zu gehen! - Ihr wußtet zu gehen.
Ihr seid meine letzten Rosen. Aber ich mag mich nicht in den elegischen Gedanken an Sterben und Verderben vertiefen, und ich wehre mich gegen das Lied von der Letzten Rose, das immer wieder ölig sentimental in mir aufklingen will.
Eure Blätter werden fallen, aber ich werde dabei nicht an Herbst und Winter denken. Eure Blätter werden daliegen wie kostbare Schälchen, aus denen ich Schönheit und Hoffnung trinken werde. Ich werde mit meiner Sehnsucht hinübergreifen über Herbst und Winter hinüber nach dem Frühling!
Hinüber nach den ersten Rosen des kommenden Jahres!“
Ich muß sagen, ich beneide mich heute, im vollen Frieden, um die Heiterkeit des Gemüts, die fünfthalb Jahre des Krieges, der Hamsterfahrten und Kohlrabi mir nicht hatten rauben können.