Original

29. Oktober 1921

Herr Redakteur! Ich weiß, Sie werden aufmucken, aus angeborener Galanterie. Aber ich rate Ihnen nicht, diese Zuschrift zu unterdrucken, ich würde mir trotz allem Luft machen. Hören Sie! Ich schnaufe vor Entrüstung noch im Andenken an mein Abenteuer.

Also: Ich war in die Kammer der Abgeordneten gegangen. Ich gehe nicht oft hin, aber diesmal wollte ich doch sehen, wie die Besten des Volles ihren Befähigungsnachweis erbringen. Erst stand ich mir vor dem Eingang für das Publikum die Beine in den Leib. (Es ist, wie bei herrschaftlichen Wohnungen. Durch die große Türe geht die Herrschaft, im Untergeschoß ist der „Eingang für Lieferanten“.) Dann erkämpfte ich mir mit aller Rücksichtslosigkeit, deren ich fähig hin, einen Platz in der ersten Reihe. Rechts von mir saß eine ältere, links eine jüngere Dame. Sie durchbehrten mich mit feindlichen Blicken. Ich freute mich ingrimmig über die aufstachelnde Wirkung, die meine bloße Gegenwart auf sie ausübte.

Im Saal war noch niemand, außer meinem Freund Alois Kayser, der an einem Artikel für den „Luxemburger Turner“ schrieb, und dem Saaldiener Joseph, der die Flaschen mit Birresborner auf einem Fensterbrett ordnete.

Plötzlich kam von hinten ein Gendarm und klopfte mir auf die Schulter. Ich drehte mich um und sah in lauter schadenfroh grinsende Gesichter. Reben dem Gendarm stand eine aufgedonnerte Frauensperson. Sie hatte einen Hut auf, der die Sonne am hellen Mittag verdunkeln konnte, und hielt an der Hand ein schnippisches kleines Mädchen, das zornige e auf mich schoß.

„Wollen Sie so gut sein!“ sagte der Gendarm. Er sagte es mit jener höflichen Bestimmtheit, die einen viel mehr ärgert, als das gröbste Anschgen.

Ich sah ihn an mit dem kältesten und abweisendsten Blick, dessen ich fähig bin, und sagte, ich dächte ja gar nicht daran.

Darauf er: „Das Büro hat die vordere Sitzreihe ausschließlich für die Damen bestimmt.“

Worauf ich: „Dann sagen Sie der Person wenigstens, daß sie ihren Hut absetzt und das nächste Mal ihren Säugling zuhaus läßt!“

Die Große und die Kleine machten erschrockene Augen und der Gendarm nahm die Stellung an, die bedeutet: Letzte Mahnung vor dem Zwangsverfahren!

Ich wollte keine Szene veranlassen und löste mich ruhig und langsam vom Feind. Natürlich schenkte ich der Kammer den Nest und ging ins Petrußtal spazieren.

Zweck dieser Zeilen ist nun, in feierlicher Weise gegen eine solche Vergewaltigung meiner Bürgerrechte zu protestieren.

Ich begreife, daß man früher, als die Frauen noch klug bescheiden an ihrem Platz blieben, ihnen gegenüber eine gewisse galante Rücksicht walten ließ, Damals saßen Männer in der Kammer, die es liebten, daß sie von Frauen im ersten Rang bei ihrer parlamentarischen Tätigkeit bewundert wurden. Damals war auch ich galanter Anwandlungen fähig, jawohl mein Herr.

Aber heute! Die Frau hat nicht geruht, bis sie „gleiche Rechte“ erkämpft hatte. Merkwürdig, daß sie dabei „Nechte“ betont. Ich betone „gleiche“. Das heißt, sie hat nicht mehr Rechte, als der Mann. Wenn sie mehr beansprucht, wird sie ihrer Sache untreu. Es ist darum höchst unangebracht, der Frau zumal in der Politik die erste Sitzreihe einzuräumen, aus purer Ritterlichkeit, wo die Frau doch selbst auf Ritterlichkeit pfeift, indem sie dem Mann gleichgestellt sein will. Lassen Sie sie nur machen, sie nimmt sich schon von selbst ihr Teil.

Nächstens setze ich mich wieder in die vorderste Reihe und laß es darauf ankommen, auf die Gefahr hin, einen öffentlichen. Skandal zu provezieren. Ich habe mit meiner Tribünenkarte ein Recht auf jeden freien Platz und wenn das Kammerbüro galant sein will, so soll es dies bitte nicht auf meine Kosten sein.

Mit gebührender Hochachtung!

Grimberger, Nörgler.

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    Katalognummer BW-AK-009-2002