Ehe die letzten Blätter fallen, möchte ich ein Wort von einer alten Freundin, der Pappel, sagen. Der schlanken italienischen Pappel, von der sie erzählen, sie sei durch den großen Napoleon über die Alpen gebracht worden, und sie sei hier überall im Absterben, weil die Jungen alle aus Ablegern der ersten Exemplare gezogen seien und ein solcher Ablegersohn die Mutter nicht überlebe. Die Botaniker müssen wissen, was daran wahres ist.
Die Pappel ist unter den Bäumen, was der Dackel unter den Hunden, nur umgekehrt. Sie betreibt ihre Menschenverachtung vertikal, der Dackel die seine wagerecht. Sie will ein Baum sein, aber nicht wie die andern. Sie ist sich in ihrer Himmelstrebigkeit konsequent bis in das letzte Zweiglein. Italienisch an ihr ist außer ihrem Ursprung auch die Aehnlichkeit mit der Cypresse. Aber die elegische Vose der Cypresse macht sie nicht mit, sie läßt ihre Blätter lustig im Wind glitzern und sie steht am liebsten, wo ein kühles Wässerchen ihr zu Füßen rauscht.
In jedes Dörflers Jugenderinnerungen spielt die Pappel eine Rolle. Sie ist bei den Jungens ein Prüfstein des Mutes und der Verwegenheit. Sie scheiden sich in solche, die auf den höchsten Pappelwipfel nach einem Elsternest klettern und solche, die das nicht wagen. Die Pappel ist für sie, was für den Schweizer seine Berge sind. Eine beständige Herausforderung zum Klettern, zum siegreichen Sichlosreißen von der Erde.
Im Frühling stehen die Pappeln mit frisch braungelbem Schleier in der Landschaft. Reiser Weizen und ganz junges Pappellaub: Eine schönere Farbe gibt es nicht. Es ist die Kraft im Stadium der Zartheit.
Warum verwenden unsere Gartenarchitekten die Pappel gar nicht, oder fast gar nicht als Zierbaum? Sie bringt mit ihrer gotisch emporstrebenden Schlankheit, ihrem malerischen Schmiegen in den Wind, dem Geglitter ihrer Blätter die malerischste Abwechslung in die Laubmassen eines Parkes, sie begleitet mit ihrer Bewegung harmonisch die Linken des Hauses. Wir sind in dieser Beziehung sehr konservativ. Ein ländlicher Herrensitz macht sich seit undenklichen Zeiten am deutlichsten durch einen Rahmen von Fichten kenntlich, niemanden fällt es ein, sein Heim mit Pappeln zu schmücken. Und doch, wie vornehm wirken z. B. in den Vorgärten vieler Münchener Villen die paar schlanken Pappelbaume.
Hierzulande kenne ich nur zwei Fälle, in denen die Pappel im Hausgarten dekorativ verwendet ist. Jeder, der an unserer Mosel her gesahren ist, kennt das hochragende Doktorhaus in Wormeldingen. Zu dem grünen Schmuck, in den es sich bettet, gehören auch ein paar Pappeln. Sie haben im Landschaftsbild Heimatrecht. Denkt sie Euch weg, und es ist, als schwiegen in einem Orchester ein paar erste Geigen. Sie betonen glücklich die Aufwärtslinie, um die Wette mit dem eigenartigen Gebäude. Es wäre jammerschade, wenn sie fehlten.
Das andere Haus mit den Pappeln ist der Neubau Huß im Petrußabhang, südlich der Neuen Brücke. Auch da spielen sie im landschaftlichen Akkord einen Part, den man nicht missen möchte. Grade dort hat das Aufstrebende der Linien eine hervorragend ästhetische Bedeutung.
Alles in allem: die Pappel lebe hoch und lang!