Original

16. November 1921

Jemand, der „eine kleine Beamtenfrau“ unterschreibt, keift mich temperamentvoll an wegen der hier erschienenen Auszüge aus einem Artikel über das Fiasko des Frauenwahlrechts in Deutschland. Die kleine Beamtenfrau hat keine üble Schneid, und wenn sie so gut kocht, wie sie keift, und ihre sonstigen ehefraulichen Pflichten mit demselben Talent und Eifer erfüllt, mit denen sie ihre politischen Pflichten aufzufassen scheint, so ist ihr Mann zu beneiden.

Einige Anregungen und gelegentliche kleine Bosheiten aus ihrem Schreiben will ich hiermit meinem Gewährsmann Herrn Grimberger. Nörgler, unterbreiten.

Die kleine Beamtenfrau findet besonders, daß in der Schule noch viel zu bessern ist. Sie schreibt:

„Es sollen wöchentlich nur zwei Religionsstunden für jede Klasse vorgeschlagen werden, vier ist zu viel, außerdem hören sie noch in allen Schulstunden von Kirche, Himmel und Hölle, es ekelt schließlich die Kinder. Der Geist wird übersättigt an Religion. Diese zwei Stunden sollen dem Gesang bleiben für schöne Volkslieder. Man vergißt die Schullieder nie und findet sie immer schön. Der Gesang stärkt die Lungen, belebt den Geist und veredelt den Charakter.

„Während der Sommermonate sollen sämtliche Schulen alle zwei Wochen einen Nachmittag zu Ausflügen benutzen, um die Kinder Blumen, Bäume, alle Arten Pflantzen, Vögel und Insekten in Wirklichkeit kennen zu lehren. Warum an die Wand malen, was man in Wirklichkeit mit der Hand greifen kann? Wie lehrreich ist z. B. so ein Ameisenhaufen! Ebenso wertvoll ist es, die guten Pilze von den giftigen unterscheiden zu lernen. Jeder Naturfreund wäre gewiß dafür.

„Haben Sie je gefunden, daß die Kinder, wenn Sie ein Dorf passierten, Ihnen „guten Tag“ wünschten? Gewiß nicht. Gehen Sie aber jenseits der Grenze in Preußen durch das kleinste Dorf, so sagt jedes Kind im Vorbeigehen „’n Dag!“ Die Schule ist verantwortlich dafür zu machen.

„Während der Sommermonate sollen keine Hausaufgaben verlangt werden. Sechs Stunden bei der Hitze in oft schlecht gelüstetem Schulsaal genügt. Im Winter ist es anders. Es kommt selten vor, daß ein Vater sich um Schulaufgaben kümmert, aus Bequemlichkeit, weil immer die Mutter, die Frau, verantwortlich gemacht wird, wenn ein Kind schief geht.

„Was wäre nicht alles zu erwarten, wenn mehrere Frauen mit Überlegung und Erfahrung in der Kammer säßen! (Ich möchte aber nicht dabei sein.) Die wären dort eher an ihrem Platz, als manche Heuchler, die drein schauen, als hätten sie die Religion mir Schweinsbollen gegessen und die ganz bestimmt nichts glauben.

„Seht Euch diese Beamten an, höhere Beamten, die bei jedem Regierungswechsel eine andere Überzeugung haben. Es sind Männer! - Eine kleine Beamtenfrau.“

Was sagen Sie nun, Herr Grimberger?

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KatalognummerBW-AK-009-2015