Original

18. November 1921

Einzelne Berufe verschwinden, andere entstehen. Die Strohdecker und Leineweber gehören der Vergangenheit an, die Zukunft gehört den Schnakeninspektoren.

Die Gemeinde Luxemburg wußte nicht, was sie mit den früheren Oktroibeamten anfangen follte. Man denke, eine ganze Kohorte von Beamten auf dem Pflaster, ohne Beschäftigung, nutz- und zweckles. Sie, denen Müßiggang ein Greuel war, sollten nun gezwungen sein, von früh bis spät die Hände in den Schoß zu legen! Lieber sterben!

Und sie bestürmten den Magistrat mit ungestümen Forderungen nach Arbeit. Sie drohten, dem Schöffenrat die Fenster einzuschlagen, wenn sie nicht bald arbeiten dürften. Sie sprachen finstern Blickes davon, die städtischen Arbeitslosen von ihren Chantiers zu vertreiben und sich der Arbeit mit Gewalt zu bemächtigen.

Die Schöffen von Großluxemburg steckten mit dem Bürgermeister die Köpfe zusammen und wüßten keinen Rat.

Da erschien ihnen der Geist des seligen Herrn Sünnen und sagte mit hoch erhobenem Zeigefinger ein Wort: Schnaken!

Und von Stund an war den alten Oktroibeamten geholfen. Sie wurden zu Schnakeninspektoren ernannt.

Gestern morgen schellten bei uns zwei junge Lente und sagten, sie kämen von seiten der Stadt. Mein erster Gedanke war, daß wieder etwas mit einem Dienstmädchen los war. Rein es sei wegen der Schnaken. Ob sie die protokollieren wollten? Nein, zerstören.

Diese jungen Leute, die nichts anders waren, als alte Oktroibeamte, waren also von stadtwegen mit dem Aussuchen der Schnaken-Schlupswinkel und der Zerstörung der hinterlistigen Biester betraut.

Damit ist die Schnake zur Höhe einer kommunalen Einrichtung erhoben und wir besitzen damit die Garantie, daß sie in absehbarer Zeit nicht mehr verschwinden wird. Wir werden nun mit der Schnake ungefähr ebenso lang zu rechnen haben, wie mit dem Oktroi. Sie wird auf den nächsten Wahlzirkularen eine Hauptrolle spielen. Von den 137 Kandidaten wird jeder von sich behaupten, er allein habe das einzig richtig gehende Mittel gegen die Schnaken, grade wie sie früher ein Monopol gegen das Oktroi oder für die Clausener Haltestelle und die PiffAbfuhr hatten.

Ist es nicht tragisch, daß es nun grade wieder die Oktroibeamten-trifft. Müssen diese Ärmsten denn immer mit einer Sache zu tun haben, die der Bevölkerung eine Last und Plage ist! Erst das Oktroi, jetzt die Schnaken!

Und wie schön hatten sie es früher im Vergleich zu heute! Wie viel angenehmer war es doch, den Deckel vom Marktkorb eines schönen Kindes, als heute den Deckel einer Senkgrube aufzuheben! Immer, wenn ich z. B. am Kuhberg, am Bisserweg, am Eicherberg, an der Marla-Theresienarenue vorbeiging und der Oktroi-Einnehmer saß vor seinem Häuschen, las die Zeitung und rauchte seine Pfeife dazu, dachte ich an den Taugenichts von Eichendorff und wünschte mich an die Stelle eines dieser (Glücklichen.)

Wie froh bin ich heute, daß mein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist! Denn ich glaube bestimmr, daß ich zum Schnakeninspektor kein Talent have.

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KatalognummerBW-AK-009-2017