Dieser Tage sah ich zum ersten Mal ein Bild des Frauenmörders Landru. Ich war enttäuscht. Dieser Mensch sieht altmodisch und poesielos aus. Er ist der Typus Provinzschuster, der die Wirrnis, den Schleier des Bartes braucht, um problematisch, unheimlich, unklar zu wirken. Ein Gesicht, das heutzutage auf Charakter Anspruch machen will, zeigt sich in allen Zügen, wirkt durch jede Einzelheit. Ein Gesicht, in dem der Mund verschleiert ist, ist wie ein Orchester, in dem ein paar Hauptstimmen schweigen. Landru paßt mit seinem entsetzlich altmodischen Gesicht - halb Christus, halb Mephisto billigster Sorte -, mit dem langweilig unfrohen Ausdruck besser zum Bälgetreter, als zum Schwerverbrecher.
Altmodisch und presielos sind auch seine Missetaten. Seine Opfer sind genau so interesselos, wie er. Er hatte die Frau auf ein Schema gebracht, sagen wir das Schema Silber- oder Golderz. Man schmilzt die Schlacke heraus und das Edelmetall bleibt zurück. Ebenso verfährt Landru. Sein Opfer besteht für ihn aus der Schlacke Mensch und aus einem Vermögen. Er verbrennt die Schlacke und das Vermögen bleibt. Er ist ein Verbrechet aus Habsucht. Und unter allen Verbrechen sind die Verbrechen aus Habsucht die häßlichsten, geschmacklosesten, verabscheuungswürdigsten und altmodischsten. Besonders, wenn es sich der Verbrecher so leicht macht, wie Landru. Eine Frau in einen Hinterhalt locken und sie beseitigen, das ist schließlich nicht schwerer und nicht interessanter, als einen Brocken Brot an eine Fischangel machen und damit ein Huhn fangen.
Am altmodischsten aber beträgt sich im Prozeß Landru das Publikum. Es ist direkt lächerlich, welche Bedeutung dem Publikum zulieb die Presse diesem Prozeß beilegen muß. Er kostet sie mehr Papier und Druckerschwärze und Reporterhonorar als die Friedensverhandlungen von Versailles. Es scheint, als hinge Wohl und Wehe der Familien davon ab, was dieser trübe Schurke in jedem Augenblick dem Gerichtspräsidenten antwortet. Man sollte doch meinen, wenn jemand im Leben fünf Minuten lang mit solch traurigem Mitteleuropäer zusammen gewesen wäre, hätte er von ihm die Nase voll gehabt. Und da in den Zeitungen spaltenlang über seine ekelhaften Verbrechen berichtet wird, stürzt sich jedermann darauf und verschlingt den ranzigen Gulasch aus dieser Sensationsküche noch vor dem Marlkurs und allen andern Altualitäten.
Das ist das Altmodische, Fraubasenhafte. Der moderne Mensch hat keine Zeit für solche Dinge, die ihm keine Bereicherung seiner Persönlichkeit bringen. Er wählt sich aus, womit er sich innerlich und äußerlich beschäftigt, läßt sich sein Futter nicht von der Sensation vorschneiden. Und sogar an das Verbrechen legt er den Maßstab der Größe, des Talents, des Interesses. Landru ist der Spießbürger-Verbrecher, ohne Interesse, ohne Talent, ohne Größe. Er ist langweilig. Das verzeihe ich ihm am allerwenigsten, und wenn ich unter den Geschworenen säße, würde ich schon deshalb seinen Kopf fordern.