Original

26. November 1921

Durch besondere Verbindungen sehe ich mich imstande, heute schon den Bericht über die Kammersitzung vom 1. April 1922 zu veröffentlichen:

Herr Sekretär Wagner verliest die Analyse der eingegangenen Aktenstücke. Eines davon hat folgenden Wortlaut:

„Die Unterzeichneten fordern von der Kammer die Revision des Art. 53 der Verfassung, der einer Anzahl von ehrenwerten Bürgern das Wehlrecht vorenthält, u. a. wegen sogenannten Diebstahls, Unterschlagung und dergleichen Lappalien. Wenn man selbst eine Versammlung von Schelmen und Affen ist, sollte man es mit andern nicht so genau nehmen. Eine Kammer, die zur einen Hälste in der Grund, zur andern nach Ettelbrück gehört, soll sich überhaupt nicht so mausig machen. Emmer Reckel!“ - Gezeichnet Lackel, darunter mehrere unleserliche Unterschriften.

Hr. Welter. Ich bitte ums Wort. Es ist unerhört, daß das Büro der Kammer öffentlich den Schimpf antut, einen solchen Schmutzsetzen hier verlesen zu lassen.

Hr. Präsident. Ich erinnere Sie daran, Herr Welter, daß Sie und Ihre Freunde am 24. November hier verlangt haben, daß die Kammer selbst und nicht das Büro beurteilen soll, ob eine Eingabe beleidigend für sie ist oder nicht.

Hr. Welter. Herr Präsident, das geht mich gar nichts an. Ich diskuttere nur das Prinzip. Ich weiß überhaupt nicht, was in dieser Eingabe steht ...

Hr. A. Thorn. Sie haben es doch eben bei der Verlesung gehört.

Hr. Welter. Nein, ich habe gar nicht achtgegeben, ich diskutiere nur das Prinzip. Ich kümmere mich nicht um alles Übrige, ich überlasse der Regierung und ihrer Majorität die ganze Verantwortung.

Hr. Präsident. Ich stelle also zur Debatte, ob die eben vernommenen Ausdrücke für die Kammer beleidigend sind.

Hr. Welter. Ich bitte ums Wort. Was zunächst den Ausdruck Schelme betrifft, so kann nur ein Ignorant ihn für beleidigend halten. Schelme hießen im Mittelalter die Scharfrichter, die sehr ehrenwerte Leute waren. Wer zweifelt auch heute noch an der Ehrenhaftigkeit z. B. des Herrn Deivier, des Pariser Scharfrichters? Sogar unser Herr Präsident gehört gewissermaßen zu den Scharfrichtern, er hat zwar noch niemanden den Kopf, aber schon vielen das Wort abgeschnitten.

Hr. Al. Kayser. Ich werde mich kurz fassen. Ich muß es als höchst antidemekratisch bezeichnen, wenn sich hier jemand durch die Bezeichnung Assen beteudigt fühlt. Schiller hat gesagt: Alle Menschen sind Bruder. Also auch die Affen, von denen wir abstammen. Sie kennen alle den Menschenaffen Piketanthropos.

Hr. Rob. Brasseur. Pithecanthropos.

Hr. Al. Kanser. Das sind Silbenstechereien, Herr Kouege. Anthropos ist Mensch und Pilet ist Piket. Mensch und Piket gehören zu den populärsten Volksvergnügungen unseres Landes. Wir haben kein Recht, uns durch die Titulierung als Affen beleidigt zu fühlen.

Hr. Krier. Laß sie doch reden, Alois, selange sich die Affen nicht beklagen, ist alles gut.

Hr. Hildgen. Ich muß bedauerlicherweise feststellen, daß man sich hier schon beleidigt sühlt, sobald man nur in nähere Beziehung zu meiner engeren Heimat Stadtgrund gebracht wird. Meine Herren! Wenn der Grund einem Beck und einem Aldringer gut genug war, darin auf die Welt zu kommen, brauchen Sie sich auch nicht aufzuregen, wenn einer sagt, die Hälfte der Kammer gehört in den Grund.

Hr. Erpelding. Und Ettelbrück erst. Ich bitte ums Wort. Männer des Gefühls, Abgesandte des Volkes!

Hr. Bervard. Princesse, écoutez l’écho des rues.

Hr. Erpelding. Was! Dieser .... dieser Bervard will mich als Gassenjungen hinstellen! (Tumult. Die Sitzung wird suspendiert. Sie wird wieder aufgenommen.)

Hr. Erpelding. Es heißt in diesem Schreiben, die Hälfte der Kammer gehört nach Ettelbrück. Meine Herren, jeder weiß, daß wir hier nur eine Hälfte haben, jeder weiß, daß wir hier nur eine einzige bessere Hälfte haben, jeder weiß, daß diese bessere Hälfte unsere Frau Thomas ist. Jeder weiß, daß wir Ettelbrücker sie mit offenen Armen bei uns aufnehmen würden. Ich frage Sie, Herr Präsident, wo ist da die Beleidigung? Und ich fordere Sie auf, mit mir einzustimmen in den Ruf: Ettelbrück lebe hoch, Frau Thomas lebe hoch! (Zustimmung auf allen Bänken.)

Hr. Gerard. Ich schließe mich in allen Punkten dem Vorredner an.

Hr. Erpelding. Das wäre Euch gemellich.

Der Geist des seligen Herrn Meris: Monn Dieu. quelle chammbre nous avons!

Hr. Düpong. Ich hörte die Vermutung aussprechen, das Wort „Reckel“ am Ende der Eingabe könne als eine Ungehörigkeit aufgefaßt werden. Aber nachdem in dem Ausdruck „Katholischer Reckel“ das Worr für alle Zeiten geadelt ist, halte ich diese Auffassung für salsch. (Mehrere Mitglieder der Rechten schließen sich an.)

Hr. Ulveling. Was die Revision des Art. 53 betrifft, so schlage ich die Einsetzung einer Kommission vor, die ohne Ansehen der Parteien und Personen ihres Amtes walten soll. Um sie politischen Einflüssen zu entziehen, wäre es angebracht, sie auswarts auf neutralem Beden tagen zu lassen.

Hr. Rob. Brasseur. Vielleicht bei Wintersdorff?

Hr. Ulveling. Ich habe in dieser Beziehung keine Vorurteile.

Hr. Präsident. Unser Greffier teilt mir eben mit, daß die Unterschrift Lackel die Abkürzung für Lack Club Luxembourgeois ist. Da wir es also mit keiner amtlich konstituierten Behörde zu tun haben, obledigt sich der Zwischenfall von selbst. Die Sitzung ist aufgehoben.

TAGS
  • parliament: looks into …
KatalognummerBW-AK-009-2024