Original

29. November 1921

Im Flereal lausten dieser Tage zwei Damen - reizend, selbstrechend, sonst paßten sie nicht in den Floreal - einen Strauß Nelken. Es waren rosenfarbige dabei, andere, die waren elfenbeingelb mit rosigen Schatten in der Tiefe des Kelches; auch leuchtend wie waren darunter. Ich fing die Wörter „er“ und „Geburtstag“ auf. „Er“ hatte Glück.

Über geschenkte Nelken freut man sich immer. Es sind Blumen ganz besonderer Art. Die Blütenblätter quellen aus dem Kelch so ausgelassen sehnsüchtig, wie bei keiner andern Blume. Die Reen gehören zu den Blumen, die uns am längsten in den Winter hinein treu bleiben. Nach Astern, Chrysanthemen und Rosen sind sie noch da. Und dabei sind sie doch die einzigen, die auf „welben“ reimen! „Astern, Veilchen, Nelken, Alle Blumen welken, Rosen und Vergißmein nicht, Aber meine Liebe nicht,“ schreibt die Grete an den Hans oder der Hans am die Grete, je nachdem hüben oder drüben die Liebe am stärksten ist.

Ich atme in der Erinnerung den süßfrischen Duft der einfachen Dorfnelken ein. Sie wuchsen wild mit thren blaubereiften Stengeln und ihren rosavioletten Kramsköpfchen über die Mauerkronen und um die Gartenbeete als Einfaß. Sie waren vornehm und zutraulich. Zur Kostbarkeit fehlte ihnen nur, daß sie sich selten gemacht hätten: Wir nannten sie „Neelchesbso’men“. Aus Nelke war auch hier Rägelchen geworden. Aber weil die Gewürznelken, die wir „Neelcheskäpp“ nannten, der Einzelblüte einer Fliederdolde glichen, wurde im Volksmund der Flieder auch zur „Neelchesme“. Nur die Alten nannten ihn unentwegt Baumblume.

Der Nelke ging es, wie manchen Volksliedern. Es wurden Variationen auf sie gedichtet. Und wie Volkslieder in Opern und Operetten verwandt und dadurch berühmt werden, so wurde die Nelke gewissermaßen chestviert und in der vernehmen Welt heimisch gemacht. Der Vergleich ließe sich nach weiter ausspinmon. Jemand aus meiner Bekanntschaft empfindet die Töne als Farben, also umgekehrt auch die Farben als Töne. Man kann es demnach wahrscheinlich bei einiger Übung dazu bringen, daß man einen Strauß Nelken nicht nur sicht und riecht, sondern hört, daß er einem klingt wie Grieg, oder Schubert, oder Mendelchohn.

Der Nelke ist es verderblich geworden, daß sie von leher eine beliebte Knopslochblume war. Sie wurde in die Politik hineingezerrt und muß von sozialistischen Knopflöchern aus das Evangelium nach Karl Marx verlünden. Dazu wäre ein Knopf aus rotem Stoff auch gut genug. Wenigstens die Blumen sollte man aus der Politik herauslassen. Aber freilich, seit auch die Frauen in der Politik sind, können die Blumen für sich keine Extrabehandlung mehr beanspruchen.

Ich denke an den Glückspilz, der zu seinem Geburstag jenen Nelkenstrauß von den beiden Damen erhalten hat. Ich spinne den Gedanken weiter aus und stelle mir den Mann als Maler vor: Er hat die Nelken vor eine gefrorene Fensterscheibe gestellt, und die Eisblumen bilden für ihre lebenden Schwestern einen wundervollen Hintergrund. Er matt die sarbigen Nelken vor dem silbern leuchtenden Hintergrund der Blumen und schreibt darunter: Winter und Sommer.

Wer weiß, es könnte unter Uniständen ein sehr schönes Bild werden.

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