Original

2. Dezember 1921

Ich habe durchaus nichts gegen die Prinz Heinrich-Avenue. Aber ich möchte in diesen Tagen nicht dort wohnen.

Nicht, daß mir die Bewohner dieser Avenue unsympathisch wären. Aber indem meine Blicke soeben die Anzeigen der Zeitung überflogen, fielen sie auf eine, bei der mich ein leises Gruseln überlief. Da teilt nämlich jemand mit, es seien bei ihm 1000 Stück junge Schlacht- und Zuchtgänse eingetroffen, die er im Detail und Engros verkaufen will.

Sind Sie schon einmal am Konservatorium vorbeigegangen, während die Bläserklasse übte? Nun, das muß das richtige Schweigen im Wald sein gegen den schnatternden Aufruhr, den 1000 Gänse vollführen.

1000 Gänse! Und dazu junge Gänse!

Wenn Sie durch ein Dorf gehen und eine Gänseherde watschelt Ihnen quer über den Weg, so strecken diese Kapitolsretterinnen unisono die Hälse lang gegen Sie vor und ihr Geschnatter umlärmt Sie betäubend. Das sind sechs, höchstens zehn Gänse. Multiplizieren Sie diesen Eindruck mit hundert und Sie können sich ungefähr vorstellen, wie die 1000 Gänse in der Prinz Heinrich-Avenue wirken, wenn sie loslegen! Zumal die Schlachtgänse, denn ich kann es mir nicht anders denken, als daß diese bedauernswerten Opfer menschlicher Fleischeslust schon im voraus das Messer an der Gurgel spüren.

Außerdem ist die Zeit zwischen dem 11. November und 25. Dezember, zwischen Martini und Weihnachten, für die Gans eine höchst fatale. Sie lebt da wie zwischen Tür und Angel. Ist sie an der Scylla Martini lebend vorbei gekommen, so findet sie in der Charybdis Weihnachten ganz sicher ein Ende mit Schrecken. Martinsgans - Weihnachtsgans - jetzt ist die Zeit, wo die Gans sozusagen in der Luft liegt.

Die Leber verhält sich zur Gans, wie der Diamant zur Krone. Was der Mensch bei sich fürchtet, das schätzt er an der Gans und sucht es künstlich durch Stopfen mit Mais zu erzeugen, nämlich eine hypertrophierte Leber. Wären die Gänse humanistisch gebildet, so würden sie sich gegen Stopfen mit dem lateinischen Zitat auflehnen: Timeo Danaos et dona ferentes.

Der gebratenen Gans wird ein Fehler nachgesagt: Sie sei zuviel für einen und zu wenig für zwei. Dagegen lautet auf die uralte Frage, was egal ist, die Antwort: Egal ist, ob einer eine ganze Gans halb oder eine halbe Gans ganz verspekst.

Der Berliner, der die Gans als Nationalgericht auffaßt, ist gegen sie von besonderer Zärtlichkeit. Schon der erste Buchstabe ihres Namens schmilzt ihm vor Rührung im Mund und wird zum J. Brauche ich zu zitieren? „Jute jebratene Jans jejessen mit joldene Jabel is jute Jabe Jottes!“

Die Gans ist alles in allem ein merkwürdiges Tier. Sie hat ost zwei Flügel Manchmal hat sie nur einen. Hat sie zwei, so sind sie von Federn, hat sie nur einen, so ist er meistens von Blüthner. In Schieberkreisen soll es Gänse geben, die sogar zwei Flügel von Blüthner haben, einen rechts und einen links von der Salontüre, der Symmetrie wegen.

Rupst man einer Gans alle Federn aus, so kann sie nicht mehr schreiben.

Ich wünsche den Einwohnern der Prinz HeinrichAvenue nur eines: Daß die 1000 Gänse so bald wie möglich verkauft und sie das Gänse-Konservatorium aus ihrer-Nachbarschaft loswerden.

Zu all dem Gänsebraten und Gänseklein aber, das sich aus tausend Gänsen herstellen läßt, sei denen, die es betrifft, gesegneter Appetit und „Wohl bekomm’s“ gewünscht.

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