Original

3. Dezember 1921

Zeitungschreiben ist ein interessantes Gewerbe War es schon zur Zeit, wo der alte Fritz gesagt hat Gazetten, wenn sie interessant sein sollen, dürfen nicht geniert werden.

Die Bewegungsfreiheit der Presse hat seit jenen Tagen keine sehr großen Fortschritte gemacht, aber Gazetten lassen sich trotzdem nicht genieren. Sie müssen eben das Mittel finden, zu sagen, was sie wollen, ohne daß man ihnen beikommt.

Der Zeitungschreiber soll sich durch nichts genieren lassen, als durch sein Gewissen. Er muß sich seiner ungeheuren Verantwortung bewußt sein, sonst ist et an seiner Stelle schlimmer, als der schlimmste Brunnenvergifter.

Es ist für den gewissenhaften Zeitungschreiber ein unheimliches Gefühl, so ins Ferne zu wirken, ohne zu wissen, was er anrichten kann, ob seine Pfeile nicht Harmlose und Unschuldige treffen.

Hat er den Gegner auf Schußweite vor sich, geht es Aug um Aug. Zahn um Zahn, so ist es ein frisch fromm fröhliches Drauflosgehen. Und der andere hat sich nicht zu beklagen, wenn er Haare läßt.

Aber es kommt vor, daß beim besten Willen ein Wort, eine Anspielung, ein Ausfall abprallt, die Richtung verliert, einen trifft, auf den es nicht gemünzt war. Der Jäger schießt hin, ohne zu wissen, daß ein Dritter in der Schußlinie steht. Und er trifft vielleicht den besten Freund, oder einen liebenswerten Menschen, dem er ums Leben nichts zu leid tun möchte. Der geht hin und hält seine Wunde heimlich oder läßt nur die Nächsten merten, wo es ihn traf. Die Uninteressanten, die immer um die Wege sind und unversehens ein Schrotkorn abbekommen, wo sie nicht selten eine volle Ladung ins Sitzfleisch verdient hätten, die sind froh, einmal Märtyrer spielen zu können und schlagen Lärm. Aber die wirklich Harmlosen reagieren nicht, lassen es ruhig vernarben, und erst später hört man vietleicht durch einen gemeinsamen Freund, was man angerichtet hat. Und das Dumme ist, es läßt sich nichts gut machen. Wenn Sie im Gedräng einer verehrten Frau auf den Fuß getreten haben, mögen Sie tausendmal Pardon sagen und Sich die Haare raufen, das macht die Sache nicht besser.

Gazetten sollen nicht genirek werden. Nur durch das Gewissen und das Verantwortungsgefühl derer, die sie schreiben. Sie sollen peinlich vorsichtig sein, wie alte Jäger auf Treibjagd im Holz. Nicht hinschießen, wenn die Kugel sich verirren und Menschen treffen kann. Trotzdem kann dem Vorsichtigsten ein Unglück passieren.

Aber wenn der alte Jäger so einen Wilderer, so einen Lump vors Rohr bekommt, der ihm schon wie oft aufgelauert hat und nur auf die günstige Gelegenheit wartet, um für ihn den Finger krumm zu machen, dann macht er sich kein Gewissen daraus, ihm eine Ladung Hasenschrot - es kann nach Bedarf auch dicker sein - dahin zu blasen, wo er keine Zähne hat.

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KatalognummerBW-AK-009-2030