Wie Altarkerzenglanz im nüchtern sahlen Licht des Mittags ist plötzlich mitten im unheiligen Straßengetriebe die Feierlichkeit des Todes.
Ein Trauermarsch weint elegisch zwischen den Häuserzeilen. Blumen verhüllen den schwarzen Leichenwagen, wie ein Protest der Schönheit gegen den Tod.
Ein Mensch hat aufgehört, die Welt in seiner Seele zu spiegeln, zu hassen und zu lieben, sich zu freuen und zu grämen, Freund oder Feind zu sein, geliebt oder gehaßt zu werden, aufrecht zu stehen - da zu sein. Er sinkt in die Zeit, wie in einen unendlichen See, und die Wasser schlagen über ihm zusammen, schwimmen in Ringen auseinander und glätten sich wieder.
In der Straße bleiben die Leute stehen und fragen: Wer wird begraben? ... Ach so, der. Und gehen weiter, denn es war keiner, der in ihrem Leben einen Platz hatte, dessen Tage ihre Tage, dessen Nächte ihre Nächte waren.
Diesmal war es einer, den alle gekannt hatten. Der vielen so nahe gestanden hatte, daß sie bei seinem Perschwinden etwas wie einen Luftzug von der unheimlichen Hand spüren, die nach ihm gegriffen und ihn aus ihrem Kreis hinausgeführt hat.
Leon Staar war von Kind auf in ein Freundschaftsverhältnis mit dem halben Land hineingewachsen. Das halbe Land ist vielleicht zu wenig gesagt. Von Schengen bis Bögen gibt es wahrscheinlich keinen Ort, in dem Leon Staar keine Freunde hatte. In ihm hatte sich die Gastfreundschaft unserer Rasse beruflich hinaufentwickelt. Er war Hotelier nicht aus der Absicht heraus. Geld zu machen, sondern aus dem Bedürfnis, vielen, allen, die da kamen. Trank und Speise und Obdach zu geben, keinen von seiner Schwelle zu weisen. Hinter dem Geschäftsmann stand bei ihm der gutmütige Mensch, dem nichts ans Herz gewachsen ist, der den Kunden nicht als gezwungenen Opferer eines möglichst erheblichen Scherfleins einschätzt, sondern als einen andern, ebenso gutmütigen Kerl, der so tun soll, als ob er zuhaus wäre.
Wer das Hoteliergewerbe so auffaßt, erweitert seinen Kundenkreis ins Ungeahnte, zumal in einem Lande, wie Luxemburg, wo die Gemütlichkeit als eine Art Nationalgericht gilt. Aber er begibt sich in eine Fron, die ihn erdrückt. Leon Staar ist an seinem Beruf, wie er ihn auffaßte, gestorben. Und mit tief erschrockenem Mitgefühl standen an seiner Bahre die Unzähligen, die seine Freunde gewesen waren, an seinem Tisch gesessen, sich an seinem ursprünglichen Wesen, seiner gutmütigen Skepsis, seinem Humor, seinem Mut, gelegentliches Ungemach zu tragen, gefreut hatten.
Auch diesen zulieb sei hier seiner gedacht.
Aber viele aus älteren Jahrgängen gingen zu ihm, weil sein Haus auf sie einen eigenen Zauber übte.
Sie dachten der Zeiten, wo seine Mutter, der er in Vielem so ähnlich war, ganz besonders in seiner Art. mit seinen Gästen zu verkehren, sich nach ihren Bequemlichkeiten zu erkundigen - wo diese Gute und Tüchtige in dem bescheidenen Haus, das sich so glücklich weiter entwickelt hat, alle Hausfrauentugenden, die sie aus ihrer ländlichen Heimat in das raschere Tempo der Stadt mitgebracht hatte, so anspruchslos und so selbstverständlich übte, wie sie jedem Gast, und trank er nur eine Tasse Kaffee zum Frühstück, das Gefühl geben wollte, als sei er bei ihr doheim, als werde grade er von ihr verhätschelt und als Freund des Hauses angesehen. Nicht aufdringlich mit vielen Worten und beflissenem Gehaben, nur durch eine Art Mütterlichkeit, die von ihr ausströmte.
Das Haus, dessen Namen der Verstorbene trug, ist eines von denen, die dem Fleiß, der Tüchtigkeit und dem unbezwingbaren Lebensmut einer schlichten luxemburger Frau ihr Hochkommen mit verdanken. Wenn ich heute daran erinnere, bin ich überzeugt, all denen aus dem Herzen zu reden, die je bei Mutter Staar zu Gast waren.