Original

6. Dezember 1921

Wonach sehnten wir uns im Krieg am meisten? Was entbehrten wir am schwersten von dem, was uns an Friedensgütern entgangen war?

Ich habe in alten Blättern nachgelesen und gesunden, daß es diese drei waren: Brot, Freiheit, Gold! Also das nackte Leben und was es lebenswert macht, Freiheit und Schönheit. Denn Gold steht nur für Schönheit.

Einmal, im Krieg, schrieb ich das Märchen vom Goldstück. „Es war einmal ein Goldstück.“ Wie es einmal Schwalben gab und blauer Himmel darüber. „Dreckig, lumpig, halb zerrissen, flattern die allerlei Kassenscheine von Tasche zu Tasche und werden von Tasche zu Tasche dreckiger, lumpiger, zerrissener, mit der ganzen unfrohen Häßlichkeit eines notwendigen Proletariertums. - Und die goldenen Königskinder liegen verborgen und warten, bis wieder blauer Himmel über Europa ist. Dann kommen sie wieder hervor, und ihr Klingen und Blinken bringt wieder Freude in die Welt.“

Und ich sang das Lied vom lieben Brot. „Wir sagen: das liebe Brot. Wir sagen nicht: das liebe Wasser, der liebe Wein, die liebe Kartoffel. Wir sagen nur: das liebe Brot. Zuweilen auch noch: die liebe Sonne.“ .... „Wir werden später unsern Sinnen nicht trauen, wenn einmal wieder die Vielfältigkeit des Brotes in den Bäckerläden sich wird auftun, wenn wir wieder ohne Paß und Passierschein über die Grenze dürfen, wenn wir in unserm Lande uns nicht mehr vorkommen werden, als säßen wir in einer Mausefalle.“ .... „Wir sind die, die seelisch am schwersten leiden unter dem Vernichtungskampf, der sich zwischen unsern Nächbarvölkern entsponnen hat. Jenseits der Grenzen haben sie den Trost des großen, flammenden Empfindens. Sie können mit dreinschlagen. .... Wir haben nur ein Recht: Abwarten, was mit uns geschieht.“

Von den dreien: Freiheit, Gold und Brot, hat nur das „liebe Brot“ unsere Hoffnungen auf Erlösung durch den Frieden erfüllt. In den Bäckerläden hat sich wieder die Vielfältigkeit des Brotes und der Brötchen aufgetan, aus dem Mißton des Kriegsbrotes ist wieder die leckere Symphonie dutzendfachen Weizengebäcks geworden. Brot essen ist nicht mehr bittere Pflicht der Lebenserhaltung mit nachfolgenden Bauchgrimmen, sondern der Genuß, der das Fundament aller Genüsse ist. Ex adipe frumenti!

Die zwei andern, das Gold und die Freiheit, haben uns schmählich um alle Friedenshoffnungen betrogen. Gold ist wie ein Pudibundum unserer Wirtschaft geworden. Wenn ein Goldstück in den Verkehr käme, würde es wirken, wie wenn eine schöne Märchenprinzessin im Hemd über die Straße liefe. Wir freuen uns schon, wenn jemand uns aus Frankreich eines der neuen Franken- oder Zweifrankenstücke mitbringt. Sie sind einfach und schön und zeigen uns doppelt, wie häßlich unsere Geldpapierfetzen sind.

Und die Freiheit! Wer hätte gedacht, daß drei Jahre nach Friedensschluß der Paßzwang noch über Europa läge wie ein weitgesponnenes System von Fußangeln!

Und daß wir immer noch abwarten müssen, was mit uns geschieht.

TAGS
  • war memories
KatalognummerBW-AK-009-2032