Original

7. Dezember 1921

Es ist eine Art Glaubensartikel, daß die Skepsis mit Unfruchtbarkeit gleichzustellen sei. Man hat behauptet, sie sei eine Form der Miesmacherei, des Defaitismus, der Skeptiker sei ohne Auftrieb und ein Hemmnis für die andern, die vor- und aufwärts streben.

Eben lese ich in dem sehr interessanten Buch «Propos d’Anatole France», in dem Paul Gsekl Aussprüche des Meisters zusammengetragen hat, wie France über die Skepsis und die Skeptiker denkt.

Jemand hatte nach der Veröffentlichung der Jeanne d’Are geäußert, die gewöhnlichen Gegner des Verfussers würden sicher behaupten, er habe mit seinen Stertiker-Händen nicht an dieses heilige Bild rühren dürfen.

Darauf geriet Anatele France ins Feuer und ließ seiner Entrüstung freien Lauf:

„Skeptiker! Skeptiker! Allerdings, sie werden mich wieder Skeptiker nennen. Und für sie ist das der ärgste Schimpf.

Aber für mich ist es das schönste Lob.

Skeptiker! Aber alle Meister des französischen Gedankens sind das gewesen. Skeptiker waren Rabelais, Montaigne, Molière, Voltaire, Renan .... Skeptiker alle höchsten Geister unserer Rasse, alle jene, die ich bebend verehre und neben denen ich nur ein sehr demütiger Schüker bin.

Der Skeptizismus! Man macht aus diesem Wort ein Synonym von Verneinung und Ohnmacht.

Aber unsere großen Skeptiker waren manchmal die stärksten Bejaher und oft die mutigsten Menschen.

Sie leugneten nur Verneinungen. Sie kämpften gegen alles, was die Vernunft und den Willen in Fesseln schlägt. Sie stritten gegen die Unwissenheit, die verdummt, gegen den Irrtum, der knechtet, gegen die Unduldsamkeit, die tyrannistert, gegen die Grausamkeit, die foltert, gegen den Haß, der tötet.

Man beschuldigt sie, Ungläubige gewesen zu sein. Man müßte erst wissen, ob Gläubigkeit eine Tugend ist und ob die wahre Charakterfestigkeit nicht darin besteht, zu bezweifeln, was man zu glauben keinen Grund hat.“

Nachdem Anatole France dann nachgewiesen, daß Rabelais, Montaigne, Molière, Voltaire, Renan jeder in seiner Art an der Befreiung seiner Mitmenschen gearbeitet hatten, fährt er fort:

„Man macht diesen Riesen einen Vorwurf daraus, daß sie der menschlichen Vernunft zuviel zutrauten.

Ich setze für mein Teil kein übermäßiges Zutrauen in die Vernunft. Ich weiß, wie schwächlich und schwankend sie ist.

Aber ich denke an das geistreiche Gleichnis Diderot’s: Ich habe, sagte er, um mich nachts in einem dichten Wald zurechtzufinden, nur ein kleines flackerndes Licht Ein Theologe kommt und bläst es mir aus.

Folgen wir zuerst der Vernunft. Das ist das Sicherste. Sie selbst macht uns auf ihre Schwäche aufmerksam und zeigt uns ihre Grenzen .......

Ich lässe mich hinreißen, nicht wahr? .... Aber die armen Skeptiker werden wirklich zu arg verkannt.

Im Grunde sind sie die größten Idealisten unter den Sterblichen. Nur daß sie eben enttäuschte Idealisten sind.

Da sie von einer sehr schönen Menschheit träumen, betrübt es sie, daß die Menschen so verschieden sind von dem, was sie sein sollten. Und ihre geläufige Ironie ist nur der Ausdruck ihrer Entmutigung. Sie lachen, aber ihre Heiterkeit verhüllt srets eine entsetzliche Bitterkeit. Sie lachen, um nicht weinen zu müssen.“

Die Sleptiker, die dies lesen, werden stolz sein, sich in so vortrefflicher Gesellschaft zu befinden.

Sollte dieser kleine Hinweis dazu beitragen, bei ein paar Lesern die Neugier nach diesem neuen Buch über France zu wecken, so soll es mich freuen - für sie.

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KatalognummerBW-AK-009-2033