Original

9. Dezember 1921

Ein glasklarer Himmel spannte sich über die öslinger Berge.

Durch den graugrünen Wiesengrund schlängelte sich die zugefrorene Clerf, wie auf einem schlecht gemalten Bild.

Die Berge waren zum Greifen, die Häuser wie sauberes Spielzeug in die Landschaft gestellt. Und ein sanfter Farbenzauber über all der sorgfältigen Pracht. André Thyes, wo bist du?

Die Sonne stieg höher und die Schönheit blieb und gemindert, unerbittlich. Sie war ein Ungewohntes, Fremdartiges, das nicht in unsern Breiten zuhaus ist. Ein wenig abgestanden schon.

Früher, als die Welt noch nicht aus dem Leim gegangen war, da hatten wir zuweilen ein paar solcher Sonnentage im Winter. Dann begrüßte man sich mit Freudenlauten über ein so seltenes Gottesgeschenk. Aber seit Jahr und Tag hören die Sonnentage nicht mehr auf. Sie beginnen, uns unheimlich zu werden. Denn sie wollen uns übel. Ich kann den Gedanken an das Bild nicht los werden, auf dem die Katze Cleopatra als sündhaft schönes Weib dargestellt ist, wie sie an Sklaven Versuche mit Giften anstellt. Sie sitzt auf dem Ruhebett und beobachtet die armen Teufel, die sich vor Schmerzen krümmen. Sie ist schön und grausam. Schön wie der Sonnenhimmel, der sich seit undenklichen Zeiten über uns spannt, und grausam wie der Rordost, der uns unerbittlich die Erde und die Schleimhäute austrocknet.

„Seht!“ sagt die Sonne. „Wie schön ich bin! Und ich will Euch ausdürsten. Ich will Eurer Erde den letzten Tropfen Wasser aus den Eingeweiden herausdestillieren, ich will Eure Brunnen und Bäche austrocknen, bis Ihr Euch vor Verschmachtung krümmt!“

Noch ist es nicht soweit. Noch entsickert den Bergesflanken da und dort ein Wasseräderchen, aber sofort hat es der Frost gepackt und in ein wulstiges Gletscherchen verwandelt. Und dicht an der Erde hat sich ihr Atem als Rauhreif weiß um Halme und Blätter verdichtet.

Eine Treibjagd lärmt durch die Winterstille. Den Berg hinauf entwickelt sich die Treiberkette und rückt mit drrr hei hei! und Hifthorngedröhne durch die Lohhecken vor. Ein paar Braken zweifelhaftester Rasse irrlichtern durch das Gestrüpp, läuten zuweilen leidenschaftlich hinter einem Jan Mümmelmann drein ......... und plötzlich flitzt aus dem Waldsaum heraus ein Stückchen Leben, ein Häschen, und strebt gestreckt pfeilschnell sort fort fort aus Lärm und Gefahr. Und im Nu ist alles in der Runde eitel Mordgier. mit Gedanken, Blicken, Geschrei und Flintenläufen konzentrisch auf das gestreckt dahinflitzende Häuschen Selbsterhaltungstrieb gerichtet. Ein trockner Knall, und Jan Mümmelmann überschlägt sich, seine Bauchwolle schimmert weiß, wie Schwanenflaum, er zuckt noch einmal drollig mit einem Lauf und dann verschwindet das bißchen Leben aus seinem wasserhellen, gleichgültigen Auge.

Oder Jan Mümmelmann hat noch einmal Glück und hört den Schuß hinter sich in den Boden schlagen und wie die Nachbarn den ungeschickten Schützen ihn auslachen.

Die Sonne steht tief im Westen und Wälder und Höhen und Häuser und Kirchtürme in weiter Runde machen ihr zum Abschied glühende Liebeserklärungen. Trotzdem sie so grausam ist. Ich stehe oben an einem Bergeshang in den unsäglichen Farbenzauber dieses Sonnenuntergangs versunken. Ein Bauersmann steht neben mir und achtet meine Versunkenheit. Aber da ich daraus auftauche und meine Begeisterung in Worte kleiden will, sagt er: „Ja, Herr, das wäre alles gut und schön, aber hätten wir Schnee!“

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