Im Prozeß Landru erinnerte der Vertreter der Anklage an einen seinerzeit berühmten Frauenmörder, namens Pranzini, der eine Halbweltlerin umgebracht und beseitigt hatte und vor Gericht beteuerte, sie lebe noch, aber er sei es ihrem Rufe schuldig, zu schweigen. Er wurde geköpft, und Rochefort schlug in der „Lanterne“ Lärm darüber, daß sich der Staatsanwalt vom Scharfrichter ein Stück Haut von der Leiche Pranzinis ausgebeten hatte, um sich davon ein Portemonnaie machen zu lassen. Wir lasen die Diatribe des Roten Marquis eines Sonntags im „Fensterschloß“ beim Suschen Varain. Das war damals die Zentralhalle, und an diesem Detail können die Jungen von vorgestern ungefähr ausrechnen, wann Pranzini geköpft wurde.
Es knüpft sich an diesen Namen aber noch eine andere Geschichte, die nicht in Paris, sondern im Herzen von Luxemburg spielt.
Das Herz von Luxemburg war damals das Gretchen. (Schöne Zeit, nicht wahr, wo man sich hier nach so heimeligen Mädchennamendiminutiven orientierte!) Das Gretchen war die alte Herrschaftsköchin, die im damaligen Cercle wo heute der schöne neue Saalbau am Paradeplatz steht, die höchsten Kostgänger des Landes speiste. An ihrem Tisch saßen die ersten Würdenträger des Großherzogtums, die de Blochausen. Eyschen Kirpach und die Blüte des luxemburger Junggesellentums. Es war eine König Artus-Tafelrunde eigener Art, und es sollte wirklich jemand die Geschichte jener Korona schreiben, solange ihr Herbergvater Herr Jean LentzBastian noch lebt und sein Scherflein dazu geben kann.
Damals sprach also die ganze Stadt davon, daß Pranzini geköpft worden war. Damals konnte man sich noch für etwas erwärmen und interessieren. Durch den Krieg sind wir blasiert worden. Aber man muß sich in jene Zeit zurückversetzen, wo die Welt noch so ungeheuer viel aufnahmefähiger war. Und man wird sich vorstellen können, welches Kaliber von Bombe es war, die am Mittagstisch bei Gretchen einschlug, als ein junger Mann - er ist heute noch ein junger Mann, aber damals war er noch viel jünger - atemlos hereinstürzte und sagte, es sei gar nicht Pranzini, der guillotiniert worden war, sondern man habe sich in der Zelle geirrt und einen Falschen geköpft!
Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, lenkte Paul Eyschen das Gespräch in geordnete Bahnen, indem er ihm eine juristische Unterlage gab und zur Debatte stellte, ob denn nun der richtige Pranzini noch nachträglich geköpft werden dürfte oder ob dem Gesetz und der Gesellschaft dadurch Genüge geschehen sei, daß einmal ein Haupt in den Sack mit Sägemehl gefallen war.
Zwei junge Juristen stürzten sich auf die Frage, wie Foxterriers auf eine Katze - der eine wollte kurzerhand Schluß machen, der andere vertrat die Theorie der Stellvertretung. Der wahre Pranzini müsse nämlich jetzt die Strafe verbüßen, die über seinen unfreiwilligen. Stellvertreter verhängt war. War es die Todesstrafe, so ging gleich gegen gleich auf; waren es zehn Jahre Zuchthaus, so waren es eben die. Auf zwei Individuen kamen zehn Jahre Zuchthaus und der Tod. Wie sie es unter sich teilten, war Nebensache.
Es kam zu einer Forderung auf Pistolen zwischen den beiden jungen Juristen. Der Überbringer der Botschaft von dem irrtümlich geköpften Pranzint kam, wie sie im Grünewald losgehen wollten, noch grade zurecht, um ihnen zu sagen, es sei ein fauler Witz von ihm gewesen. Und abends feierte man beim Gretchen die Persöhnung. Die Flasche Moët kostete damals noch zehn Franken.