Kürzlich war hier die Rede von „Maria Chapdelaine“, dem schlicht schönen Buch von Louis Hémon, das den Schatz eines fernen und in seinen Wurzeln uns manchmal doch wundersam vertrauten Volkstums hebt.
Heute möchte ich von einem andern Buch reden, das ebenso tief in reinem, altem, starkem Menschund Volkstum gründet. Es heißt: „Seefahrt ist not!“ und ist von einem, der die Not der Seefahrt im Leben und im Tod an sich verspürt hat. Er war aus der Fischerheimat Finkenwärder bei Hamburg, wo seine Geschichte spielt, hieß Hans Kinau und nannte sich mit seinem Schriftstellernamen Gorch Fock, nach einer der uransässigen Fischerfamilien, die in seinem Buch vorkommen. Im Leben muß er ein Fahrensmann gewesen sein, sonst hätte er sein Buch nicht schreiben können, und sein Grab ist die See geworden, als er um die fünfunddreißig alt war. Da ging er mit der „Wiesbaden“ in der Schlacht gegen die Ingelschmann unter.
In dem Buch von Louis Hémon ist es die Liebe, die über die Heldin große Trauer bringt. Immer ist es die Liebe, aus der die Dichter im Verhältnis der Geschlechter zueinander ihre großen Konflikte bauen, allen Jubel, alles Glück und alle Tragik holen sie aus ihr. Es gibt aber eine tiefere Quelle der Tragik und aus ihr schöpft Gorch Fock die bewegende Kraft seines Romans. Es ist der Kampf um das Kind. Daran sind drei beteiligt. Und da sind immer zwei die Steger und der Dritte ist umso todunglücklicher.
Hier ist der Dritte die Mutter, und sie stirbt am verlorenen Kampf um das Kind.
Der Kampf geht zwischen ihr, der Festlandstochter, der Butenländerin, und ihrem Mann, dem Seefischer, um den Sohn, der des Vaters eingeborene Sehnsucht nach dem Meer geerbt hat, der das Haus flieht und sich an das Schiff krallt mit der Zähigkeit eines Tieres. So wie die See auf dem Spiel ist - und sein Vater und die See sind eins - zählt nichts anderes mehr mit. Klaus Störtebecker nennen sie ihn, nach einem Seeräuber mit lokaler Berühmtheit. Und wahrhaftig, wenn er nicht im Guten hätte Seemann werden dürfen, wäre er es im Schlimmen geworden. Er fürchtet auf Erden weiter nichts, als daß er - sich einmal fürchten könnte, „bange warrn“. Dem Schuster schmeißt er das Fenster kaput, weil der ihn zum besten hatte, als er fragte, ob seine Wasserstiebeln noch nicht fertig seien. Sein Vater ist der kachende Siegfried, der niemals am Leben zweifelt. Störtebecker weiß, daß sein Vater „nie bleiben“ kann, wie die andern auf See Verschollenen. Denn so hat sein Vater gesagt.
Endlich darf er mit an Bord, und die Mutter sitzt allein zuhaus in ihrem Fischerhäuschen zu Finkenwärder. Und Vater und Sohn haben zusammen herrliche Tage. Bis die Mutter im Ort erzählen hört, ihr Klaus sei über Bord gekommen und nach dem Hafen fährt, wo zwischen zwei Reisen der Ewer ihres Mannes liegt. Störtebecker war über Bord gekommen, allerdings, aber was war denn dabei, Vater hatte ihn doch wieder herausgeholt! Trotzdem, jetzt gibt sie keine Ruh, jetzt muß sie ihren Jungen haben, und Störtebecker muß von Bord und mit ihr nachhaus. Da sind drei Menschen, jedes in seinem Recht, und bei jedem ist man mit dem Herzen so dicht, daß man das andere schlagen hört. Aber draußen lockt die See, und es ist ja nur ein kurzer Sieg der Mutter. Klaus Mewes, der lachende Siegfried, bleibt nun doch, und sein Sohn will es nicht glauben und wriggt Tag für Tag, Sommer und Winter mit seinem Kahn die Elbe hinunter und späht an jedem Besan nach der Flagge seines Vaters. Ob sie ihn zuhaus einsperren und halb totschlagen, Mutter und Onkel, er läßt nicht von seiner Überzeugung und läßt nicht vom Meer.
Wer das Buch liest, ist auf Wochen lang in Finkenwärder zuhaus, am Deich und auf dem Neß, und an Bord eines Fischerewers mit den harten und wahren Menschen, die mit Tod und Teufel auf du und du stehen, denen so eigene Seelen wachsen da draußen in der Enge ihrer Kambüse und in der Unendlichkeit von Himmel und See.