Original

14. Dezember 1921

Eine Gesellschaft junger Leute aus den sogenannten besseren Kreisen sprach über den Verlauf des Brüsseler Trambahner-Ausstandes. Junge Leute von heute bleiben nicht auf halbem Wege stehen. Sie sind nicht mehr die zahmen Sozialisten aus der Vorkriegszeit, sie gehen als Bolschewiken aufs Ganze.

Besonders scharf entrüsteten sich diese über die Brüsseler Studenten, die sich als Freiwillige für den Betrieb gestellt und damit den Ausstand zum Scheitern gebracht hatten.

„Diese verfluchten Bürgerssöhnchen!“ sagte einer „Wir werden sie lehren, den Proletariern beim Klassenkampf in den Rücken zu fallen!“

„Gestatten Sie, junger Mann,“ sagte ein älterer Zuhörer. „Sie reden von Kampf, von Klassenkampf Zu einem Kampf gehören mindestens zweie. Hatten Sie sich die Sache so gedacht, daß die Klasse, die Sie verächtlich Bourgeois nennen, also alle. die keine Proletarier sind, sich ruhig die Haut über die Ohren ziehen lassen! Ein alter Vorkämpfer des Liberalismus sagte vor Jahren einmal in unserer Kammer, wenn das „Bourgeoistum“ soweit wäre, daß es sich ohne Widerstand unterkriegen ließe, dann könnte es auch ganz zum Kuckuck gehen. Aber er hoffe, soweit sei es noch nicht. Sie wollen den frisch-frommfröhlichen Klassenkampf: Wie kommen Sie denn dazu, sich zu entrüsten, wenn die andere Seite sich zur Wehr setzt! Ich finde, daß diese Brüsseler Bourgeoissöhne in ihrem vollen Recht waren, und daß sich über sie viel weniger zu entrüsten ist, als ob über gewisse Söhne steinreicher Väter, die mit kommunistischen Großsprechern Champagner trinken, deren Parteilassen speisen, aus seiger Schlaumeierei, weil sie sich senseits der Barriere für den Ernstfall Bundesgenossen heranziehen möchten und hoffen, beim gloßen Kladderadatsch verschont zu bleiben. Das sind die die ihre Eisen in zwei Feuern haben und von ehrlichem Kampf nichts wissen wollen!“

„Bitte,“ unterbrach der erste Redner „in Brüssei lag der Fall ganz besonders. Da ging der Kampf zwischen der Gesellschaft und den Angestellten, und jeder Dritte, der sich da hineinmischt, verdient, daß er sich die Finger dabei verbrennt.“

„O nein, der Kampf ging gar nicht zwischen der Gefellschaft und den Angestellten. Sondern der Faktor, der bei solchem Streike am meisten geschädigt wird, ist das Publikum. Wollen Sie es dem Publitum verbieten, sich so gut es geht vor Schaden zu bewahren? Und merken Sie, es ist kein kapitalistisches Publikum, es sind fast ausschließlich Proletarier der Arbeit, die mit der Unterbrechung der Fahrgelegenheit sich von ihrem Verdienst abgeschnitten sehen. Wem sind also die brüsseler Studenten in den Rükken gefallen, als sie diesem Publikum beisprangen?“

„Das Proletartat ist solidarisch. Das Publikum der brüsseler Elektrischen hätte gern aus Solidarität einige Tage gefeiert, wenn es damit den Ausständigen zum Sieg hätte verhelfen können.“

„Und dieser Sieg wäre in seiner letzten Konsequenz ein Sieg Ihrer Ideen, ein Klassensieg gewesen, eine Riederlage der Weltanschauung, in der jene Bourgeoissöhne von ihren Vätern erzogen sind. Hören Sie, junger Mann, Sie waren bisher verwöhnt, Sie kämpften und glaubten nirgends auf Widerstand zu stoßen. Nun scheint es, als ob man sich auch auf der Gegenseite rührte, und das nennen Sie dann, Ihren Leuten in den Rücken fallen. Wenn Sie den Kampf wollen, dann müssen Sie auch auf Widerstand rechnen und damit, daß der Gegner alle seine Vorteile ausnützt. Das hat er bis jetzt nicht getan. Aber wenn er es in Zukunft tun wird, brauchen Sie sich gar nicht zu wundern.“

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